Eine Kurzgeschichtensammlung auf die ich durch Sophies Besprechung auf dem Blog Literaturen aufmerksam geworden bin. Durch die Veröffentlichung bei dem Digitalverlag edel&electric ist das Buch nun auch bei mir auf dem Lesegerät eingezogen und ich konnte mich dem Bann, den diese Geschichten erzeugen nicht entziehen. Es sind kurze, brutale und trotz allem auch ruhige Ausschnitte aus einem Leben in Deutschland, welches man nicht auf den ersten oder zweiten Blick sieht. Es sind vielmehr Geschichten, die sich im Verborgenen, im Kleinen abspielen, deswegen aber nicht minder schlimm sind. Man muss zweimal hinschauen, um zu verstehen, was da gerade passiert und warum das so ist. Erklärungen? Gibt es keine. Alles passiert. Einfach so und die antreibenden Mittel sind Wut, Angst und Resignation. Alles zusammen ergibt eine explosive Mischung, an die Sven Heuchert die Lunte legt und diese auch anzündet.
Gleich die erste Geschichte legt mit einer Härte los, dass einem der Atem wegbleibt. Es wird gesoffen und sexuelle Gewalt ausgeübt, dass die Schwarte kracht und ob der Brutalität, die der Autor da einem offenbart, steht einem der Mund weit offen. Diese Duftmarke ist gesetzt und wer über diesen Markstein nicht hinwegkommt, der wird dieses Buch nicht mögen. Bin ich darüber hinweggekommen? Sicher, sonst würde es jetzt keine Besprechung zu diesem Buch geben und ich bin froh, dass ich den ersten Hieb in die Magengrube verarbeiten konnte, denn es geht zwar ähnlich bitter weiter, aber nicht immer so brutal wie in „Sag den Frauen, wir kommen nicht wieder“. Es geht um Menschen in den Vierzigern, arbeits- und hoffnungslos, die in Kneipen versacken, die Kinder haben, die sich denken, ich will nicht so werden und es trotzdem tun; es geht um Jugendliche ohne Perspektiven und die deswegen die Reichen ausrauben wollen, um sich ein besseres Leben zu ermöglichen; es geht um Rivalitäten und Eifersuchtsszenen, die auf brutale Art gelöst werden und noch vieles mehr. Allen Geschichten wohnt eine gewissen Tragik und Traurigkeit inne, sei es die Rentnerfreunde, die einen verloren geglaubten Hund suchen und bei denen man ahnt, dass die beiden alten Freunde nicht mehr ganz so fit im Kopf sind oder die Geschichte des jungen, der auf dem Bau arbeitet, nur schikaniert wird und der bei der Arbeit seinen Vater dabei beobachtet, wie er in den Puff geht. Das ist der rote Faden dieser Kurzgeschichten, der sie vereint, zusammenhält.
Sven Heuchert ist mit „Asche“ ein Debüt gelungen, dass einem im Magen so ein Grummeln verursacht, welches nicht vom Essen herrührt. So ein unangenehmes Ziehen, das einem Ahnungen in den Kopf treibt, dass gleich irgendetwas passieren wird. Dabei spielt der Autor mit den Erwartungen des Lesers. Vieles wird nur angedeutet oder dem Drogenrausch zugeschrieben. Sven Heuchert verknappt die einzelnen Geschichten auf definierte Szenen und doch ahnen wir bei jeder Einzelnen, was bei den Protagonisten im Leben schief gelaufen ist und wie sie an den Punkt gekommen sind, an dem wir sie eine kurze Zeit beobachten dürfen. Die Sprache bei solchen Kurzgeschichten das entscheidende Mittel, um den Leser bei der Stange zu halten und die ist so realistisch gehalten, wie man es gerade noch aushalten kann. Sie hält drauf, ohne Kompromisse und wie bei einem Unfall kann man nicht wegschauen, bleibt am Ball, lässt sich dann doch wieder auf die nächste Geschichte ein. Wenn man, wie oben angedeutet, den ersten Schmerzpunkt überwunden hat, bekommt man ein Kaleidoskop der Gesellschaft geboten und vielmals auch einen Spiegel vor das Gesicht gehalten, da man im wahren Leben immer wegschauen würde und es hier einfach nicht kann. Auf einer gewissen Ebene regen die Geschichten zum Nachdenken an, denn die Perspektivlosigkeit in den meisten Geschichten ist bedrückend und macht einem ganz schön zu schaffen. Das muss man aushalten können, um an dem Buch einen Gefallen zu finden und um etwas daraus für die Zukunft mitzunehmen.
Alles in allem ist es ein Buch, welches nicht jedem gefallen dürfte. Es ist roh, es ist bedrückend und an manchen Stellen auch recht brutal. Es beschreibt das Leben abseits der großen Städte und der „wohlhabenden“ Mittelschicht. Es geht mitten hinein in eine Gesellschaft, in der das Wort malochen noch groß geschrieben wird, in der es noch klare Hackordnungen gibt. Sven Heuchert hat mir diese Welt etwas näher gebracht und aufgezeigt, dass es kein Zuckerschlecken ist, in diesem Milieu zu überleben beziehungsweise ein halbwegs normales Leben zu führen. Er nahm mich bei der Hand und zeigte mir einige Facetten dieser Welt, die mir sonst verborgen geblieben wären. Zwar nur in Andeutungen und schemenhaft, aber doch klar genug, um zu erkennen, dass ich mich glücklich schätzen kann, ein Leben abseits dieser brutalen Welt führen zu dürfen. Vielen anderen ist dieses Glück nicht gegeben.
Weitere Besprechungen findet ihr bei:
– Tobias Nazemis Buchrevier
– Frank Rudkoffsky
Sven Heuchert
“Asche”
2015; Digitalverlag edel&electric
ISBN: 978-3-96029-004-9
Literatur, die die Schwarte krachen lässt, finde ich als Gegenpol zur aktuellen Befindlichkeitsprosa, die ja von überall uns umgibt, sehr wichtig. Schöne Rezension, danke.
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Lieben Dank für das Lob und falls du es lesen solltest, bin ich auf deine Meinung gespannt.
Viele Grüße und ein schönes Weihnachtsfest.
Marc
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Wünsche ich dir auch!
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