Blut und Drogen
Knockemstiff, ein hässlicher Ort irgendwo im Nirgendwo des Mittleren Westens in den USA. In einer Senke gelegen, keine Möglichkeit dem Sog von diesem Knotenpunkt des Abstiegs zu entkommen. Einmal darin gefangen, kommt man nicht mehr aus diesem Moloch heraus. Drogen, Schlägereien, Alkohol, Missbrauch und Mord sind hier an der Tagesordnung und keinen kümmerts. Heruntergekommene Gestalten, sozial Abgehängte begegnen einem hier überproportional oft und die, die etwas im Kopf haben, sind längst geflohen oder haben ihre Ambitionen einfach weggesoffen. Das alles beschreibt diesen schmalen Geschichtenband von Donald Ray Pollock ungefähr, der im Verlag Liebeskind erschienen ist. Allein der Einstieg zeigt auf, in welche Richtung es gehen wird und ein buntes Kaleidoskop aus brutalen Geschichten wird präsentiert. Diese sind nicht unbedingt für jeden geeignet und auch ich musste ein paar Mal schlucken, da mir die präsentierte Gewalt und Perspektivlosigkeit auf den Magen schlug. Doch sprachlich wird einem hier ein starkes Stück Literatur geboten, welches man unbedingt gelesen haben sollte.
Nicht nur vom Klang her eine harte Schule
Knockemstiff, ein Ort, der alleine vom Namen her einen harten Klang mit sich bringt. Alle Geschichten spielen in diesem Ort und der harte Klang dieses Ortes spiegelt sich auch im Geschehen der jeweiligen Geschichten wieder. Die erste davon steigt gleich mit einer Prügelei ein, bei der ein Vater seinem Jungen in einem Autokino zeigt, wie man seinem Gegenüber mittels einer Prügelei seine Meinung eintrichtert. Gleich danach schließt sich eine Geschichte an, die mich beinahe das Buch hätte beiseitelegen lassen, da es um Mord und Vergewaltigung an Kindern/Jugendlichen geht und diese sehr explizit erzählt wird. Und auch danach geht es sehr direkt weiter und die Ausweglosigkeit bis hin zum Tod einzelner Personen steht immer im Mittelpunkt des Geschehens. Es ist sehr deprimierend, dies alles zu lesen und schwer zu ertragen. Keine der Geschichten bietet einen Ausweg an oder zumindest ein winzig kleines Schlupfloch, bei dem man am Ende weiß, dass alles schon irgendwie gut wird. Das wird es nicht. In vielen der Lebensläufe steckt eine Tragik, die man nicht begreifen kann, wenn man wohlbehütet aufgewachsen ist und ein geregeltes Leben führen darf. Oftmals dachte ich daran, dieses eigentlich schmale Büchlein beiseite zu legen und es ruhen zu lassen oder ganz aufzugeben. Ich habe lange mit jeder Geschichte gerungen und konnte die Seiten beileibe nicht in einem Rutsch durch meine Finger gleiten lassen. Jeden Tag nahm ich mir jeweils nur eine der Geschichten vor und jedes Mal war es ein Kampf um das Weiterlesen oder Überblättern. Doch am Ende war es Faszination am Unbekannten, die mich weiterlesen ließ. Das Unbekannte ist in diesen Geschichten die Sozialschicht die beschrieben wird, die Abgehängten und Abhängigen. Die, die sich niemals aus eigener Kraft aus dieser Situation befreien können oder wollen. Und wenn sie doch ein Schlupfloch finden, dann enden sie in der nächsten Sackgasse. Es wirkt zwar alles übertrieben, aber kann ich mir sehr bildlich vorstellen, wie es in manchen Gegenden der USA aussieht, wo die Wirtschaft den Bach runter geht und die Arbeitslosigkeit exorbitant steigt, dann hat man Zustände wie in Knockemstiff oder Detroit oder anderen Städten, in denen dieser Zustand eintritt.
Die sozialen Niederungen
Die Sprache des Autors, die in meinen Augen passend von Peter Torberg ins Deutsche übertragen wurde, vermittelt diesen Zustand des Ausgeliefertseins wunderbar auf den Leser. Vielmals hatte ich regelrecht Schmerzen, dem Geschehen zu folgen und irgendwie taten mir, bis auf ein paar Ausnahmen, alle gezeigten Gestalten leid. Um es mit den allgemeinen Ausspruch auszudrücken, dass es wie bei einem Unfall ist. Eigentlich soll man weiter gehen, wegschauen, sich für andere Dinge interessieren, aber man schaut trotzdem hin. Pollock beschreibt alle Figuren in diesen Kurzgeschichten sehr realitätsnah und so, dass man sie am liebsten zur Seite und ins Gebet nehmen, ihnen zuflüstern will, dass sie die Finger von den Drogen und dem Alkohol nehmen und einfach aus dem Moloch namens Knockemstiff verschwinden sollen. Doch so einfach ist dieses Unterfangen nicht. Gleich einer nicht bestimmbaren Anziehungskraft, bleiben die meisten solchen Orten verhaftet und hoffen darauf, dass alles wieder gut wird. Das diese Hoffnungen vergebens sind, sehen diese Menschen kaum und bleiben in ihrem Trott und sterben entweder früh an Gewaltverbrechen, an Drogen oder siechen dahin und leben ein Leben in Trostlosigkeit.
Verflechtungen bis in den Tod hinein – Knockemstiff gibt es überall auf der Welt
Vieles ist in diesen Geschichten miteinander verflochten, mal sieht man hier und dort alte Bekannte, gleich einem Déjà-vu und fragt sich woher man diese oder jene Person schon kennt. In Knockemstiff kennen sich viele über fünf Ecken, aber keiner vertraut dem anderen. Eine ausweglose Situation, aus der es kein Entrinnen gibt und so bleibt letztendlich nur das Prinzip Hoffnung auf bessere Zeiten oder zumindest die Sehnsucht danach. Alles in allem ist dieses Buch mit seinen Kurzgeschichten eine trostlose Nummer, die sich aber keineswegs nicht lohnt. Es ist hart, sich durch diesen Morast aus Drogen, Blut und Dreck zu wühlen – keine Frage. Am Ende wartet jedoch die Erkenntnis, wie so oft, wenn man in den Niederungen der Gesellschaft unterwegs ist, dass es einem doch gar nicht so schlecht geht, einem alle Wege offen stehen und man eigentlich ganz zufrieden sein kann mit dem Leben, welches man führen darf. Eine Lektüre, die aufrüttelt, die bewegt und einen mehr oder minder entsetzt zurück lässt. An einem Stück gar nicht zu genießen, mehr häppchenweise zuführ- und damit ertragbar. Man muss sich darauf einlassen können und gewisse Brutalitäten über sich ergehen lassen. Wenn man diese Punkte berücksichtigt, bekommt man amerikanische Literatur der etwas anderen Art geboten. Nicht glatt geschliffen oder wohlfein geschrieben sondern schroff, roh, gewaltsam und deprimierend, aber diese Investition lohnt sich. Weitere Rezensionen findet ihr bei:
Buzzaldrins
Außerdem ist bei Schöne Seiten vor einigen Tagen ein wunderbarer Beitrag zum Liebeskind Verlag erschienen, in dem auch dieses Buch veröffentlicht wurde. Sehr schön geschrieben und mit Herzblut aufgezeigt, was unabhängige Verlage zu leisten imstande sind. Zum Artikel bitte hier entlang.
Wow, danke für den Tipp. Hört sich nach einem würdigen Nachfolger meiner letzten Lektüre von Dennis Lehane an, ebenfalls von Peter Torberg übertragen. Kommt gleich auf meine Liste.
Herzliche Grüße aus Berlin, Bri
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Hallo Bri,
ja, dieses Buch könnte an Lehane anschließen, aber der Stil ist komplett anders. Welches von Lehane hast du gelesen?
Liebe Grüße
Marc
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Eigentlich fast alles ;) Angefangen hat meine Lehane-Sucht mit In der Nacht – großartig, in der Zeit der Prohibition spielend, dann habe ich im Aufruhr jener Tage nachgeschoben, da das zeitlich vor In der Nacht angesiedelt ist und die Familie des Protagonisten Joe Caughlin nähter belauchtet – danach habe ich so sukzessive alles, was bei Diogenes neu übersetzt(?) und aufgelegt wurde, gelesen. Am Ende einer Welt der zweite Band mit Joe Caughlin als Hauptfigur hat mich schier umgehauen. Das ist großartige Literatur, da kann man nicht nur von Krimi oder Thriller sprechen ;) LG, Bri
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Das letzte, das ich erst vor kurzem von ihm gelesen habe ist das hier:
https://feinerbuchstoff.wordpress.com/2017/07/13/der-anfang-des-fadens/
umwerfend gut !!
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Puh, bei Lehane habe ich einiges nschzuholen. Finde seine Schreibe sehr gut, er kann einen Thriller damit enorm aufwerten.
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Korrekt, er schafft ein komplettes gesellschaftliches Soziogramm mit psychologischem Tiefgang so mal nebenbei ;) Aber es lohnt wirklich. Liest sich großartig.
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