[Rezension]: Wolfgang Herrndorf – Tschick

Eine zauberhaft magische Reise durch Mitteldeutschland

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Illustration © Laura Olschok

Vor einiger Zeit erschien das Buch Tschick vom Autor Wolfgang Herrndorf. Ich bekam vom Erscheinen eher nur am Rande etwas mit. Mit der Krankheit Herrndorfs und den nicht abbrechenden Lobeshymnen zu diesem Buch wurde das Interesse immer größer, aber das Etikett Jugendbuch schreckte mich immer noch ab. Doch mit der Ausgabe, die letztes Jahr in der Büchergilde erschienen ist und die mir schon allein in ihrer Aufmachung gefiel, war das Eis endgültig gebrochen. Und es ist wieder eines jener Bücher, bei denen ich mich frage, warum ich so lange gewartet habe. Wahrscheinlich nur, um die vorliegende Edition erwerben zu können. Ich möchte diese Besprechung zu einer Mischung aus Film- und Buchbesprechung machen, da ich in der Zwischenzeit auch den Film gesehen habe. Eines bleibt klar zu sagen: Das Buch ist besser, aber auch der Film hat seine Momente, kann jedoch diese Magie, die während des Lesens entsteht, nicht in Bilder bannen. Die Phantasie war an dieser Stelle stärker als das, was sich der Regisseur ausgedacht hat.

Alles beginnt mit Maik Klingenberg und wie er zu einer Sache verhört wird, von der wir als Leser noch nichts wissen. Klingenberg ist 14 Jahre alt und hat, so scheint es, einigen Bockmist verzapft, den er nun gegenüber der Polizei eingestehen soll. Doch durch eine Verletzung, die eine Ohnmacht nach sich zieht, wird dieses Verhör hinausgezögert und die Genesung steht im Vordergrund. In dieser Zeit erzählt Maik seine Geschichte, wie es dazu kam, dass er mit Tschick, wie er von allen genannt wurde, während der Sommerferien durchbrannte und durch halb Brandenburg gegurkt ist, um in die Walachei zu kommen. Dabei erleben die beiden Jungs so einige Abenteuer, manche haarsträubend, andere einfach so, dass man sagen kann, ich wäre gern dabei gewesen.
Doch den Anfang mach Tatjana Cosic, die in dieser Geschichte nur eine Randfigur bildet und deren bevorstehende Geburtstagsparty das Klassengespräch schlechthin ist. In Tatjana ist Maik verknallt, macht aber auf unnahbar und wird so von ihr komplett ignoriert, erwartet aber trotz allem eine Einladung zu ihrem Geburtstag, die bis einschließlich dem letzten Schultag verweigert wird. Ebenso bekommt Tschick keine, da er als Asi angesehen wird und ständig besoffen in die Schule kommt. Diese zwei völlig unterschiedlichen Typen kommen so zu Beginn der Sommerferien zusammen und erleben das größte Abenteuer ihres Lebens. Da Maiks Mutter auf einer Entziehungskur ist, die sie liebevoll die Beautyfarm nennt, und der Papa währenddessen mit seiner Assistentin durchbrennt, haben Maik und Tschick keine Probleme oder mahnende Zeigefinger, die ihren Trip verhindern könnten. Anfangs zögert Maik noch, sich auf das wahnwitzige Abenteuer einzulassen, doch irgendwann lässt er einfach los und die Reise in die Walachei kann beginnen.

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Illustration © Laura Olschok

Es gibt sie, diese Bücher, die einem im Gedächtnis umherschwirren, obwohl man sie noch nicht mal in die Hand genommen hat. Man meint, den Inhalt ein wenig zu kennen, weiß um was es geht und hat eigentlich keine Lust mehr, diese zu lesen. Ein Fehler, wie sich immer wieder herausstellt, so auch beim vorliegenden Buch, welches ich wie im Rausch gelesen habe, stellenweise kaum die Finger davon lassen konnte und selbst in den Lesepausen in Gedanken darin verweilte. Dabei ist es nicht die Geschichte an sich, die dieses Buch so besonders macht. Vielmehr sind es die schnodderige Art, wie die Reise beschrieben wird, die in meinen Augen witzigen Dialoge mit frecher Schnauze und ebenso, was für Landschaftscharakterisierungen an den Leser herangetragen werden. Das alles vermischt Herrndorf gekonnt zu einer Mixtur, die schön zu lesen ist, witzig um die Ecke kommt und dabei fast nie langweilig wirkt. Dabei etabliert er mit Maik und Tschick zwei Figuren, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Maik, aus dessen Sicht diese Geschichte erzählt wird, kommt aus vermeintlich gutbürgerlichen Verhältnissen, wobei er aber schon auf den ersten Seiten andeutet, dass dieser Schein trügt. Maik selbst ist in sich selbst zurück gezogen, wird in der Klasse eine zeitlang als Psycho tutliert und fällt ansonsten nicht weiter auf. Als Kontrast dazu wird Tschick in das Geschehen geworfen, wie der gezähmte Stier. Am ersten Tag besoffen in der Schule auftauchend, mit einem Schnaps in der Plastetüte, will keiner mit diesem Asi zu tun haben. Auch Maik nicht. Doch vom ersten Tag der Sommerferien raufen die beiden sich immer mehr zusammen und machen einen Trip durch die ostdeutsche Provinz, wie sie nicht traumhafter und auch seltsamer sein könnte.
Davon ist im Film von 2016, den Fatih Akin inszenierte, leider nur bis zur Hälfte etwas zu spüren. Die Figuren sind gut getroffen, der Einstieg, wie im Buch, ist so voller Tragikkomik, dass man gleich weiterschauen möchte. Doch für mich persönlich gingen der Film und das Buch ab der Passage bei den Windrädern getrennte Wege (also beim Film ab zirka dem ersten Drittel) und leider zu Ungunsten des Films. Während die Abenteuer im Buch absurd, komisch und verträumt daher kommen, so wie man früher seine Sommerferien wahrgenommen hat, so spult der Film irgendwie ein Standardprogramm runter und schneidet sogar die besten Passagen des Buches weg und wirkt dadurch unrund oder unvollständig. Plötzlich bog der Film auf die Schlussgerade ein, wo das Buch noch einmal richtig Fahrt aufgenommen hat. An den Schauspielern lag es sicher nicht. Tristan Göbel (Maik) und Anand Batbileg (Tschick) machen ihre Sache richtig gut. Allen voran Anand als Tschick kauft man die Rolle richtiggehend ab. Auch die Bilder des Filmssind richtig gut getroffen und bringen stellenweise das Kopfkino in bewegte Bilder. Vor allem die stillen Passagen bei den Windrädern oder wenn sie durch die Feldern fahren, dann ist der Film dem Buch entsprungen.

Warum ich mir das Buch nun letztendlich doch noch zugelegt habe? Wer Bücher liebt, kann an dieser Ausgabe der Büchergilde nicht vorbei gehen. In einem schicken, weichen Einband eingeschlagen, das Papier etwas dicker und wunderbar von Laura Olschok illustriert (für den sie 2016 den Gestalterpreis der Büchergilde erhalten hat), die den bedeutendsten Szenen des Buches bebildertes Leben einhaucht, lässt diese Ausgabe das Bibliophilenherz ein wenig höher schlagen. Ein Buch, welches man ungern aus der Hand legt und welches sich richtig gut im Buchregal macht. Danke liebe Büchergilde. Allein für solche Ausgaben lohnt sich die Mitgliedschaft bei euch.

Als Fazit bleibt mir nur zu schreiben, dass dieses Buch wirklich für jedermann ist. Entweder für die Jüngeren, weil es frech geschrieben ist und für solche „alten“ Knacker wie mich, um ein wenig in die eigene Jugend zurück zu blicken, auf die vergeblich gedachte Liebe, auf Abenteuer, die man nicht bereit war, zu erleben. Danke Wolfgang für dieses wunderbare Jugendbuch und schade, dass eine so wunderbare Stimme der Literatur nicht länger bleiben konnte.

 

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9 Kommentare zu „[Rezension]: Wolfgang Herrndorf – Tschick

Gib deinen ab

  1. Diese Ausgabe ist wirklich sehr schön, Das Buch ist auch inzwischen zur Schullektüre aufgestiegen. Ich habe es in sehr guter Erinnerung, den Film habe ich noch nicht gesehen.
    Viele Grüße
    Silvia, #litnetzwerk

    Gefällt 1 Person

    1. Hallo Silvia,

      beim Lesen dachte ich mir auch, dass dieses Buch doch eine prima Schullektüre abgeben würde. Auf jeden Fall besser als jeder „trockene“ Schinken aus dem 17./18./19. Jahrhundert.

      Den Film kann man sich mal anschauen, wird aber zu großen Teilen enttäuscht sein. Es fehlt einiges und die Bilder, die beim Lesen entstehen, kann der Film nur zum Teil transportieren.

      Liebe Grüße
      Marc

      Like

  2. Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich dieses Buch gelesen habe. Während ich es las, erzählte ich einem Freund von einer Szene, und hatte sie so sehr vor Augen, dass ich behauptete, ich hätte vor kurzem einen Film gesehen, in dem dieses und jenes passiert war. Noch während ich das sagte, fiel mir auf, dass ich in den letzten Tagen überhaupt gar keinen Film gesehen hatte, und die Szene also aus einem Buch kommen musste. Das hat mich selbst sehr überrascht. Und so muss man erstmal schreiben können.

    Gefällt 2 Personen

    1. Hallo Marion,

      genau dieses Ablaufen eines Filmes während dem Lesen ist wohl das, was dieses Buch aus der Masse heraushebt. Das so zu schreiben ist auf jeden Fall große Kunst. Da konnte der Film letztes Jahr nicht dagegen halten. In manchen Einstellungen hat er es zwar geschafft, das Buch auf die Leinwand zu transportieren, aber in der Summe war die Grundstimmung und die Verrücktheit der Situation nicht diesselbe. Leider verpufft das in der zweiten Hälfte des Films und bricht in meinen Augen auch zu abrupt ab, insbedondere, wenn man weiß, was im Buch noch alles für verrückte Situationen passieren, die man dann im Film vermisst.

      Liebe Grüße
      Marc

      Gefällt 1 Person

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