Wie man den Tod verarbeitet
Dieses Buch ist keine Anklage gegen Gott im eigentlichen Sinne wie es der Titel vielleicht suggeriert. Es wird zwar mehrfach angesprochen, dass er nichts gegen diese oder jene Dinge tut, sondern sie einfach geschehen lässt. Vielmehr spiegelt dieses Buch wieder, wie unterschiedlich eine Mutter und ihr zweites Kind den Verlust des eigenen Kindes beziehungsweise kleinen Bruders verarbeiten. Sehr intensiv geschriebenes Buch, welches in den Siebziger Jahren angesiedelt ist und sich eigentlich nur durch eingebaute Passagen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit ein Bein stellt, da sie ohne Relevanz zum eigentlichen Kontext wie Fremdkörper wirken.
Jonas, der kleine Bruder von Ben und Sohn von Ruth, stirbt unerwartet nachdem er wegen krampfartigen Anfällen einige Tage im Krankenhaus lag. Einer Obduktion stimmt Ruth nicht zu und so bleibt der wahre Grund für Jonas‘ Tod unergründet und wird mit ihm begraben. Doch nun gehen die Probleme los, denn Ruth kann ihre Trauer nur für sich selbst wirklich zulassen, indem sie sich auf ihr Bett zurückzieht und versucht leise in die Heizdecke zu weinen, die ihr Wärme spendet. Der Mann an ihrer Seite und Vater ihrer beiden Kinder, hat sich längst mit einer neuen Partnerin aus dem Staub gemacht und spielt innerhalb der Familiendynamik nur noch am Rande eine Rolle. Ihrem großen Sohn gegenüber ist Ruht aber recht unbarmherzig und lässt wenig zu. Dabei hat aber auch er mit dem Verlust seines Bruders zu kämpfen, auch wenn er es nicht offensichtlich zeigt. Denn er steckt im Beginn des Umwälzungsprozesses, den wir alle unter dem Namen Pubertät durchmachen mussten und in diese Phase kommt der Tod des eigenen Bruders recht ungelegen. Er geht mit dieser Angelegenheit eher kindlich naiv beziehungsweise pubertär ignorant um und versucht vielmehr Ruth aufzubauen, was diese aber in den meisten Fällen harsch zurückweist, da es sie wiederum an ihre eigene Trauer erinnert. So entsteht ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt, aber keiner der beiden dazu imstande ist. Da es Ruth nicht gelingt, Jonas auch in ihrem Geist zu begraben und Ben nur eine Last zu sein, greift zu drastischen Maßnahmen, die dieses Dilemma endgültig lösen sollen.
Wenn man selbst Papa von zwei Kindern ist, dann schmerzt es ungemein, so ein Buch zu lesen, in dem der Sohn/Bruder einfach nicht mehr da ist. Ohne die Umstände genauer zu definieren, entwirft Stephan Lohse eine Geschichte, in der die Verarbeitung von diesem plötzlichen Verlust im Zentrum steht. Daraus bastelt er zwei Sichtweisen, bei denen er versucht diese vor allem sprachlich einzuweben. Ruth ist die erwachsene Sichtweise, die es probiert rational an die Sache heranzutreten und ihre Trauer eben nur für sich selbst im eigenen Schlafzimmer zulässt. Dem gegenüber steht die kindliche Sicht, die durch Ben vertreten wird. Der Verlust, der in einer schwierigen Phase seines Lebens eintritt, trifft ihn vermeintlich weit weniger hart als seine eigene Mutter. Dafür sucht er sich aber Mutproben, wie etwa mit dem Nachbarsjungen, von dem er sich verprügeln lässt, um wenigstens auf diese Art Schmerz zu fühlen.
Wenn man die Passagen raus lässt, die Ruths Vergangenheit betreffen und ein wenig beleuchten, wie sie und ihr Exmann zusammenkamen, dann bekommt man ein sehr bedrückendes Buch, welches auch gleichzeitig ein kleines Zeitdokument ist. Da es in den muffigen Siebziger spielt, die ich selber nicht erlebt habe, die sich mir aber als das Spießerjahrzehnt darstellen, macht es vor allem Sinn, dass niemand seine Gefühle nach außen zeigen will. Das machte mich schon während dem Lesen traurig, da es nicht gesund sein kann, sich seine Seele nach außen hin zu reinigen. Wenn man alles in sich rein frisst, wird man irgendwann krank oder wählt falsche Wege, um sich diesen Terror in der Psyche nicht mehr zu geben.

Ohne großes Aufheben zeigt Stephan Lohse auf, wie Ruth und Ben den Tod des Sohnes/Bruders verarbeiten und meist die Mittel wählen, bei denen man ihnen am liebsten zurufen würde, dass sie einfach nur miteinander reden müssten. Auch der Vater/Exmann ist keine große Hilfe, da er in einer anderen Welt lebt und zu beiden keinen Zugang findet und auch umgekehrt der Umgang nicht gerade durch Herzlichkeit geprägt ist. Dieses Buch zeigt auf erschreckende Art und Weise, wie ein einziger Schicksalsschlag, ein Wimpernschlag in der Zeit ganze Biographien durcheinander wirbeln kann. Dabei zeigt der Autor nur die ersten zwölf Monate nach dem plötzlichen Tod von Jonas und wie in dieser Zeit sich alles, was vorher sicher war, einzustürzen droht. Ob die Figuren nach diesen zwölf Monaten die Traurigkeit überwunden haben? Oder sich weiterhin in einem Abwärtsstrudel befinden werden? Das bleibt dem Leser selbst überlassen.
Vorsicht Spoiler!
Wer das Buch noch nicht gelesen hat, ab hier bitte nicht weiterlesen, da essentielle Fakten über den Schlussakt hier ebenfalls mit einfließen müssen, da es die letztendliche Bewertung zwar nicht maßgeblich, aber trotzdem beeinflusst.
Es geht mir um den Schlussakt, der mitten in der Geschichte schon angedeutet wird, dessen komplette Tragweite aber erst auf den letzten Seiten offenbar wird. Als sich der Schleier legte und man als Leser weiß, was Ruth vorhat, schnürt es einem die Kehle zu. Und ich fragte mich, ob es der Autor wagt, den letzten Schritt zu gehen und seine Figuren zu opfern? Konsequent wäre es gewesen und hätte auch der Entwicklung von Ruth entsprochen. Es wäre harter Tobak gewesen, hätte aufgerüttelt und wäre dem Buchtitel gerecht geworden. Das es nun der hoffnungsfrohe, ins Licht blickende Schluss geworden ist, mag man zwar im ersten Augenblick gut finden und auch ich nehme mich da nicht aus, denn ich habe auch erleichtert ausgeatmet. Doch irgendwie wirkte es in meinen Augen erzwungen und lässt das Buch leider halbgar enden.
In Summe ist es kein schlechtes Buch. Sprachlich so aufgebaut, dass zwei Sichtweisen gespiegelt werden und eine Geschichte präsentierend, die die Aufarbeitung eines plötzlichen Todes aufzeigt. Interessant zu lesen und an vielen Stellen sehr schwer zu ertragen. Beim Franz-Turmler-Preis hat dieses Buch den Publikumspreis gewonnen und stand auf der Liste der Nominierten. Ob das dem Buch auf für den Debütpreis gelingen wird (leider nein)? Auf meiner persönlichen Shortlist war es jedenfalls und im Nachhinein für mich persönlich auch zurecht.
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