Der deutsche Buchpreis – Nie einen Treffer
Die Longlist des deutschen Buchpreises ist nun seit fast einem Monat in der Öffentlichkeit und wurde meiner Wahrnehmung nach weit weniger diskutiert oder mit weniger Groll angenommen, als noch die Jahre zuvor. Wie jedes Jahr seit ich den Blog betreibe, ist es für mich eigentlich immer eine Vorfreude, mit der ich auf die Veröffentlichung blicke, da ich immer zwanzig neue Bücher vorgesetzt bekomme, mit denen ich mich beschäftigen kann. Warum 20? Zum einen hat die Longlist seit Einführung des Preises 20 Bücher und weil ich es bisher nie geschafft habe, vorher ein Buch zu lesen, welches dann auch auf der langen Liste landet.
Vorauswahl
So ist es jedes Jahr, dass ich erst einmal relativ unbefangen an die Sache herangehe. Doch etwas ist für mich aktuell anders. War es bisher immer so, dass ich mir meist nur kurz die Inhaltsangaben anschaue und anhand dessen mir ein kurzes Urteil hinsichtlich meiner eigenen Leseinteressen erlaube und daran meine Auswahl der Bücher vornehme, wollte ich es in diesem Jahr anders machen und mich auch auf dem Blog ein wenig intensiver mit den Büchern auseinandersetzen. Im Vorfeld wusste ich, dass auf dem Internetportal Netgalley seit 2016 eine Kooperation mit dem Deutschen Buchpreis stattfindet und man als Blognutzer beziehungsweise Journalist oder Buchhändler die meisten der Longlistbücher anfragen konnte. Natürlich steht bei mir immer die Frage im Raum, wieviel ich mir aufladen möchte, also habe ich trotzdem eine kleine Vorauswahl getroffen, um mir nicht alle 20 Bücher zu Gemüte führen zu müssen, da mich davon nicht alle interessieren. Dabei ist folgende Leseliste entstanden, die ich versuchte durch Anlesen abzuarbeiten und die, die mich wirklich interessieren, später auch durchzulesen (in Klammern – Format und Anfrageform):
- Maxim Biller – Sechs Koffer (eBook, Netgalley)
- Arno Geiger – Unter der Drachenwand (eBook, Netgalley)
- Helena Hegemann – Bungalow (eBook, Netgalley)
- Matthias Senkel – Dunkle Zahlen (eBook, Netgalley)
- Stephan Thome – Gott der Barbaren (Buch, beim Verlag angefordert)
- Adolf Muschg – Heimkehr nach Fukushima (Buch, gekauft)
- Giana Molinari – Hier ist noch alles möglich (eBook, Netgalley)
- Susanne Röckel – Der Vogelgott (eBook, Netgalley)
- Franziska Hauser – Die Gewitterschwimmerin (eBook, Netgalley)
- Nino Haratischwilli – Die Katze und der General (Buch, beim Verlag angefragt – bisher das einzige Buch, welches ich noch nicht anlesen konnte)
- Carmen-Francesca Bancu – Lebt wohl, ihr Genossen und Geliebten! (eBook, Netgalley)
Hopp und Topp
Immerhin 11 von 20 Büchern, die mich interessierten, die ich mir zumindest mal näher anschauen wollte. Ich bin dann so vorgegangen, dass ich bei jedem Buch auf dieser Liste erst einmal 30 Seiten reinlesen wollte, die Stimmung der Geschichte aufnehmen, die Sprache auf mich wirken lassen und den Stil. Von den 11 habe ich bisher 10 anlesen können und meine Ansichten schwanken von „Was hat das auf der Longlist zu suchen?“ bis hin zu „Das wird mein Favorit“.
Fangen wir mit den Büchern an, die in die erste Kategorie fallen oder die vielleicht eine Longlistnominierung verdient haben, aber für die Weitergabe in die kurze Liste reicht es dann wohl nicht. Bei Helena Hegemann habe ich allein schon bei der Nennung des Namens eine Aversion gegen das damit verbundene Buch. Die Plagiatsvorwürfe, die ihr Debüt belasteten und sich als wahr herausstellen sollten, belasteten mich schon im Vorfeld zu dem nominierten Buch. Jedoch wollte ich wissen, was Hegemann dazu befähigt auf der Longlist zu landen. In meinen Augen: nichts! Ich empfand es irgendwie zu sehr mit Dampframme geschrieben, zu gewollt auf Krawall gebürstet. Auch konnte mich die Sprache überhaupt nicht überzeugen. Ich kam jedenfalls überhaupt nicht rein in das Buch und leider bestätigte sich somit das aufgebaute Vorurteil gegenüber der Autorin beziehungsweise ihrer Art zu schreiben und das rote Tuch bleibt bestehen.
Ein weiterer Kandidat bei dem ich die Qualität anzweifele, die das Buch befähigt zu den besten Zwanzig des Jahres zu gehören, ist Giana Molinari mit „Hier ist noch alles möglich“. Die Sprache ist mir zu simpel aufgebaut, weil nur Hauptsätze auf einen warten und das meist in sehr kurzer Form. Kaum ein Füllwort, Objekt, Subjekt, Prädikat – aus mehr bestanden die Sätze meist nicht. Das irritiert beim Lesen, lässt einen nicht einmal im Ansatz in die Geschichte hinein finden. In dieser Form hat es zumindest auf dieser Liste nichts zu suchen. Doch eine leise Stimme im Hintergrund flüstert mir die ganze Zeit ins Ohr, dass ich dem Buch ohne die Belastung des Preises noch eine Chance geben sollte.
Das dritte Buch, welches ich sprachlich zwar auf jeden Fall für longlistwürdig halte, ist Bancus Buch, welches im Versmaß geschrieben ist. Allerdings nerven hier die ständigen Wiederholungen, die eine Art Stilmittel darstellen. Mich zermürbten diese. Ich wollte dem Buch eine Chance geben, da ich den Ansatz und die Geschichte dahinter wirklich interessant fand. Wer aber eine natürliche Abneigung gegen Gedichte hat, bekommt bei diesem Buch Kopfschmerzen und ich gehöre eindeutig dazu.
Kommen wir aber nun zu den Büchern, bei denen mir die ersten Seiten so gut gefallen haben, dass ich am liebsten gleich alles hätte lesen wollen. Fangen wir mit Susanne Röckel an, die mit „Der Vogelgott“ gleich zu Beginn eine atmosphärisch dichte Spannung aufbaut, dabei aber nicht allzu viel verrät. Da will ich weiter lesen und wissen, in welcher Zeit das Buch spielt und wo und wie sich der Inhalt auf dem Prolog hin aufbauen wird. Für mich von der Sprache her auch ein zarter Kandidat für die Shortlist.
Zwingend auf die Shortlist gehört in meinen Augen Biller, Thome und Hauser, die mir alle drei in ihren Anfängen richtig gut gefallen haben. Inhaltlich und sprachlich. Alle drei auf ihre Art unterschiedlich. Allein bei Franziska Hauser und Stephan Thome merkt man die Begeisterung an, mit der sie ihren Text geschrieben haben. Thome aus Liebe zu China und Hauser, um ihre Familiengeschichte niederzuschreiben. Das sind Bücher, die ich unbedingt weiterlesen möchte und euch auch bald auf dem Blog im Detail vorstellen möchte. Biller steht dagegen schon fast außer Konkurrenz. Dicht geschrieben, ohne großen Aufwand sofort in der Geschichte gefangen. Definitiv Shortlist!
Auch auf der Shortlist sehen möchte ich Senkel mit „Dunkle Zahlen“, bei dem mir der Anfang richtig gut gefallen hat. Es saugt einen mit seinen Ideen und seiner Sprache regelrecht hinein. Dazu ist es auch noch sehr undurchsichtig, so dass man unbedingt wissen will, wie es weiter geht. Ebenso wie Biller, definitiv Shortlist!
Bei Arno Geiger bin ich mir noch unschlüssig. Er liest sich gut, aber es ist ein Roman der schon wieder das Thema Zweiter Weltkrieg durchnimmt. Sprachlich zwar sehr annehmlich, so dass man weiter lesen möchte, aber irgendwas in mir drin sagt nein bei dem Gedanken daran, diesen Roman auf die Shortlist zu setzen.
Außer Konkurrenz sind Haratischwili und Muschg, die ich leider doch nicht anlesen konnte (entgegen meiner Ankündigung oben, passte der Muschg nicht mehr rein bis morgen. Aber er liegt schon parat, falls er es auf die Shortlist schafft). Und nun bin ich gespannt, welche Bücher, es nun wirklich auf die Shortlist schaffen werden. Morgen sind wir schlauer und ich präsentiere dann meine Trefferquote.
Hallo lieber Marc,
interessanter Beitrag, vor allem weil mich, warum weiß ich selbst nicht so genau, keines der Bücher so sehr in den Bann zieht, dass ich einen Favoriten feststellen könnte. Bei vielen Titeln auf der Longlist hatte ich noch nicht einmal ansatzweise das Bedürfnis, sie zu lesen. Ich hoffe wirklich, dass sich das beim nächsten Buchpreis wieder bessert…
Ganz liebe Grüße
Karin
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Diesmal bin ich wegen meiner Urlaube ein bißchen hinten nach beim Lesen und lese gerade als sechstes Longlistbuch Franziska Hausers „Gewitterschwimmerin“, so kann ich nur sagen, Inger Maria Mahlke hat mir nicht so gefallen, da habe ich das so besondere und Neue nicht entdecken können, die beiden experimentellen Bücher „Sültzrather“ und „Lebt wohl ihr Genossen…“ fand ich sehr spannend und interessant, denke aber, weil da alle stöhnen, auch an die sogenannte Außenseiterchance, dann habe ich noch die „Drachenwand“ und „Sechs Koffer gelesen“, bin also sehr gespannt und würde obwohls ja noch auf meiner Liste steht, an Angelika Klüssendorf neben Biller, Geiger, Harataschwilli etcetera für die Shortlist denken und war gerade sehr erstaunt, daß die schon jetzt bekanntgegeben wird, ich hätte da eher an die nächste Woche gedacht, bin also offenbar noch nicht sehr update, aber schon am österreichischen Buchpreislesen und diese Liste finde ich wirklich gut und kann sie sehr empfehlen, liebe Grüße!
https://literaturgefluester.wordpress.com/deutscher-buchpreis/
https://literaturgefluester.wordpress.com/oesterreichischer-buchpreis/
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Bei Röckel bin ich nicht sehr weit gekommen. Mir ging es wie dir mit dem Lesebeginn, doch dann bin nicht mehr klar gekommen … weiß gar nicht so genau warum …
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Gianna Molinaris Roman muss man komplett lesen, erst dann erschließt sich die eigentliche Tiefe und Ungewöhnlichkeit. Ich finde es bezaubernd:
https://literaturleuchtet.wordpress.com/2018/09/05/gianna-molinari-hier-ist-noch-alles-moeglich-aufbau-verlag/
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Da ist auch so ein Gefühl da, was genau solche Worte mir zuflüstert, dass da noch mehr kommt. Ich habe es mir zumindest vorgemerkt.
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