Buchpreislesen
Seit ich meinen Blog betreibe, immerhin sind das nun auch schon über fünf Jahre, verfolge ich auch jedes Mal mit Spannung die Preisverleihungen zum Leipziger und zum Deutschen Buchpreis. Jedes Mal sehe ich die Bücher, die da auf den Listen verteilt werden, nicke manchmal oder winke meist ab. Zu anspruchsvoll, nicht meine Kragenweite oder einfach keine Zeit, mich mit den Büchern auseinanderzusetzen. Ab und zu nehme ich es mir doch vor und greife zu einem der Bücher, die entweder ganz oben auf dem Treppchen standen oder zumindest die aufmerksamkeitssteigernde Wirkung der Nominierung auf die kurze Liste erfahren haben.
Einmal, das war noch bevor es die offiziellen Buchpreisblogger gab, habe ich beim Buchpreislesen mitgemacht. 2014 war das und ich habe mich damals durch das Buch „Sieben Sprünge vom Rand der Welt“ von Ulrike Draesner geschleppt, wie ich es schon ewig nicht mehr erlebt habe. Euphorisch begonnen, legte sich eine Art Trägheit auf das Lesen des Buches, dass ich bald die Freude daran verlor. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich in der Zeit kaum zum Lesen gekommen bin. Jedoch hat sich diese Erfahrung so eingeprägt, dass ich mich seitdem immer davor gescheut habe, zumindest die Bücher der kurzen Liste immer mal anzuschauen oder vielleicht auch zu lesen.
Das wollte ich in diesem Jahr anders machen. Zum einen hatte ich mal wieder richtig Bock darauf, mich mit allen 20 Büchern zumindest ansatzweise zu beschäftigen. Dabei half mir, dass es die über die Plattform Netgalley einige der Buchpreisbücher zum Lesen bereitgestellt werden. So konnte ich vollkommen unkompliziert in die meisten der zwanzig Bücher zumindest hinein schnuppern und mir ein paar Favoriten zusammenstellen. Diese Essenz habe ich einen spontanen Prognosepost zusammengefasst (siehe hier).
Doch mein Plan für dieses Jahr war vor allem, mich intensiver mit der kurzen Liste auseinander zu setzen. Das da noch Autoren wie Nino Haratischwili und Stephan Thome darauf vertreten sind, die ich mir so oder so seit Ewigkeiten vornehmen wollte, machte die Sache natürlich einfacher. Und so kam/kommt es, dass ich mich mit vier der sechs Bücher intensiv auseinander gesetzt habe. Zwei, die kürzeren, habe ich sogar auslesen können und die dicken Brocken im Falle von Thome zumindest bis zur Hälfte gelesen. Meine Meinungen zu diesen vier Büchern möchte ich nun kurz zusammen fassen und eine kleine Prognose für den Siegertitel wagen, natürlich unter der Voraussetzung, dass ich zwei Titel nicht gelesen habe, weil sie mich thematisch einfach nicht interessiert haben.
Ich packe meine Koffer und nehme einen Biller mit
Maxim Billers „Sechs Koffer“ sprang mir kurz vor der Verkündung der langen Liste das erste Mal so richtig ins Bewusstsein, da einige Blogger dieses Buch vorstellten und es gleich zu einem der Favoriten erklärten. Ich hatte vom Autor nur ein vages Bild, da ich ihn ein paar Mal in kurzen Ausschnitten beim Literarischen Quartett gesehen hatte und er mir mit seinem Gehabe etwas hochnäsig erschien. Da ich dieser Sendung aber im Allgemeinen nichts abgewinnen kann/konnte, ist die Einschätzung dieses Menschen nur eine grobe. Den Rest klaubte ich mri durch diverse Artikel zusammen, die meine Meinung eigentlich nur bestätigten – klassische Filterblase sozusagen.
Mit diesen Dingen im Hinterkopf bin ich an das Buch ran und konnte völlig losgelöst einen lockeren Roman lesen, der zu einer Art Familientherapie wirdf. Biller lässt seine eigene Vergangenheit in literarisch aufgearbeiteter Form auf den Leser los. In lockerem Ton erzählt er in sechs Kapiteln mittels sechs verschiedener Personen von der großen Tragödie, die die Geschicke seiner Familie belastet – der Verrat und die damit einhergehende Hinrichtung von Maxims Großvater in den Sechsziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts und wie dieses eine Ereignis bis heute nachwirkt. Auf nicht einmal 200 Seiten breitet Biller eine Geschichte aus,die über 60 Jahre umfasst, das Judentum und den Hass dagegen ebenso thematisiert, wie die Grenze zwischen Ost und West beziehungsweise innerhalb der Familie.
Ich finde solche Bücher generell immer etwa schwierig, da man nie weiß, was ist nun der Fiktion entsprungen und was ist Wahrheit. Viele der offensichtlichen Fakten lassen sich mit Sicherheit recherchieren, doch das Innenleben der Figuren, selbst von Maxim Biller selbst, der als eine Art Bindeglied alle sechs Episoden zusammenhält, kennt man nicht. Dieses Buch ist definitv gut geschrieben und beschreibt sehr schön, wie es eine Familie zerreißt, wenn Verrat diese belastet und niemand weiß, wer diesen begangen hat. Zudem bringt er die historische Spaltung von Ost und Westeuropa zum klingen, indem er diese direkt anhand seiner Familie zeigt, die teilweise im Ostblock lebt und sich nach dem Westen sehnt und der andere Teil über die ganze Welt verteilt ist. Dieses Buch ist sprachlich und inhaltlich ein großer Favorit auf den Gewinn des Preises. An manchen Stellen habe ich gelesen, dass Biller ein Adjektivgewitter auf den Leser loslassen würde oder dem Leser zu sehr das eigene Judentum aufs Auge drücken. Das sind beides Punkte, die mich kalt gelassen haben. Das mit den Adjektiven ist bei mir im Hinterkopf mehr so ein theoretisches Ding, welches mir auf den ersten Blick nicht negativ aufgefallen ist. Und das mit dem Jüdischen wird in der Geschichte sehr offensiv an den Leser getragen, aber ich empfand das nicht als belehrend, sondern vielmehr zur Geschichte der Familie dazugehörend.
China, du fremdes Land
Stephan Thome hat eine Art Dauerabo auf den Buchpreis. Mit „Gott der Barbaren“ hat er mittlerweile seine schon dritte Nominierung für die kurze Liste eingefahren-Doch waren „Grenzgang“ und „Fliekräfte“, die ich beide auch noch lesen möchte, zeitgenössische Themen, widmet er sich in seinem aktuellen Buch der chinesischen Geschichte und da konkret den Opiumkriegen der sechziger Jahre des Neunzehnten Jahrhunderts. Er geht also weit zurück in die Geschichte in ein Kapitel, welches uns als Europäer zwar interessiert, aber, soweit mein Verständnis, kaum geschichtlich beeinflusst hat. Thome hat in dieses Buch seine Liebe zu China und dessen Kultur hineingegossen und das merkt man jedem Wort an.
Zu Beginn begleiten wir Philipp Johann Neukamp, der sich auf missionarischem Wege in China aufhält und in die schon genannten Konflikte zwischen Engländern, Chinesen und christlich geprägten Rebellen hinein gerät. Er ist eine der zentralen Figuren, eignet sich die chinesische Lebensweise an, zumindest soweit das als Europäer möglich ist, spricht chinesisch und hat damit einige Vorteile gegenüber den Einheimischen.
Dieses Buch lässt sich nicht einfach lesen. Es sprudelt nur so über vor Handlungsorten, vor geschichtlichen Gegebenheiten und historischen Figuren. Doch sprachlich ist das alles eine Wucht, dass man trotz der Schwierigkeiten immer wieder dran bleiben will. Für mich neben Biller ein klarer Favorit auf den Preis. Von den drei bisher gelesenen Büchern machen die zwei Autoren das unter sich aus.
Afrika einmal anders inszeniert, über Götter und düstere Vögel
Mit „Der Vogelgott“ hat Susanne Röckel ein Buch in der kurzen Liste, welchem ich eher Außenseiterchancen einräumen würde, als das es ein Favorit ist. Für mich persönlich sogar mehr überraschend, dass es dieses Buch dahin geschafft hat. Selbst nach der Lektüre sind bei mir immer noch große Fragezeichen vorhanden, worum es denn nun überhaipt ging in diesem Buch.
Ab der Mitte der Lektüre wird klar, dass es sich der Roman um eine Familie dreht, denen der titelgebende Vogelgott auf die eine oder andere Weise ins Süppchen des Lebens spuckt. Mehr kann man eigentlich nicht sagen. Das Buch besteht abseits des Prologs, den ich immer noch nicht richtig zum Rest zuordnen kann, aus drei Kapiteln, die alle miteinander zu tun haben und doch getrennt voneinander betrachtet werden können. Allen dreien ist gemein, dass sie relativ harmlos anfangen und sich dann langsam dem Wahnsinn nähern.Dabei streut die Autorin über alle drei Geschichten geschickt Knotenpunkte aus, die diese miteinander in Verbindung bringen und zu einem Großen und Ganzen verknüpfen.
Dieses Buch ist exzellent in seiner Sprache, nichts ausgelutschtes normales aus irgendeiner Schreibschule. Es wirkt frisch und setzt auf verschiedenen Ebenen Reize, so dass man als Leser am Ball bleiben will. Dabei rückt aber das eigentliche Geschehen ein wenig in den Hintergrund. Da wird auf zu wenig Seiten zu viel untergebracht, so dass es mit fortschreitender Dauer immer verwirrender wird. Doch man kann das Buch nicht zur Seite legen, denn eine düstere Grundatmosphäre hält die Spannung aufrecht. Für mich persönlich ein Buch, welches ich noch ein zweites Mal lesen muss/will, um viele Zusammenhänge besser verstehen zu können.
Der Krieg in Tschetschenien und seine Folgen
Noch nicht begonnen – wird bis zur Preisverleihung noch ergänzt, wenn ich die ersten Seiten gelesen habe.
Auf dieses Buch freue ich mich seit dem Zeitpunkt, an dem es angekündigt wurde. Der Vorgängerroman „Das achte Leben“ will ich parallel dazu lesen, um mir den Herbst mit einem „Nino Haratischwili“ – Lesemarathon zu versüßen (siehe hier). Dazu wird es noch einen gesonderten Beitrag geben und, wenn es die Zeit erlaubt, ein paar Lesetagebucheinträge.
Mittlerweile habe ich in das Buch hinein geschnuppert und habe meine ersten Eindrücke hier zusammengefasst. Für mich persönlich ist es bisher (aktuell bei knapp 200 Seiten) ein sehr gelungenes Buch, welches bis zu der Seitenzahl, wo ich jetzt bin, noch sehr viel offen lässt und den Leser im Unklaren lässt. In einigen Besprechungen (zum Beispiel beim Bookster) oder auch in Kommentaren bei facebook habe ich gelesen, dass viele mit dem Stil und der erzählten Geschichte überhaupt nicht klar kommen beziehungsweise diese Metaphernflut, die in diesem Buch durchaus vorkommt, nicht mochten. Ich persönlich empfinde manchen Vergleich, manches Bild, welches die Autorin in diese Geschichte einbringt etwas schief, da schlitzen Mondsicheln Wunden in die Haut der Nacht, wo dann die Sterne stehen und solcherlei Dinge stehen da. Über manche dieser Sätze stolperte auch ich durchaus, aber in der Summe (ca 95%) empfinde ich dieses Buch als spannend geschrieben und den bisher gezeigten Ansatz der Geschichte so aufgebaut, dass ich unbedingt am Ball bleiben möchte.
Doch ab das alles im Zusammenhang mit dem Deutschen Buchpreis reicht? Das mag ich eher mal zu bezweifeln, denn da empfinde ich die anderen drei Bücher, die ich von der Shortlist bisher (an-) gelesen habe als besser, entweder in der Sprache und/oder der Geschichte.
Wem rechne ich die höchsten Chancen an?
Am 08.10.2018 wird der Preis für das aktuelle Jahr vergeben und eröffnet gleichzeitig die diesjährige Frankfurter Buchmesse. So viel, wie in diesem Jahr, habe ich mich mit den Bücher der langen und kurzen Liste noch nicht beschäftigt. Bisher habe ich es noch nie geschafft, vor der Preisverleihung so viele Bücher an- beziehungsweise auszulesen. An die zweitausend Seiten habe ich in der zweimonatigen Spanne geschafft, was für mich persönlich einem neuen Rekord gleich kommt. Insgesamt vier (!!!) Bücher der Shortlist habe ich gelesen und sogar zwei beenden können, bei einem habe ich ca zwei Drittel geschafft und bei einem knapp ein Fünftel. Kann man daraus ein Urteil ableiten, wer den Preis verdient hat? Ich für meinen Teil schon, denn ein Vergleich ist schon mglich, sobald man ein Buch knapp angelesen hat, wenn man den Ton der Geschichte und die genutzte Sprache erfasst hat. Wenn man all diese Punkte zusammen nimmt und dann auch noch in Betracht zieht, welch unglaublichen Kraftakt Stephan Thome in dieses Buch gesteckt hat, dann ist mein Favorit auf den Preis „Gott der Barbaren“.
Es ist beileibe kein einfaches Buch und auch nicht unbedingt eines für die breite Masse. Man muss sich viel Zeit lassen, um in diese Farce einzutauchen, die mehrere Konflikte aufzeigt, die in den Sechziger Jahren des Neunzehnten Jahrhunderts in China spielen. Sprachlich auf dem höchsten Niveau und aus drei verschiedenen Sichtweisen erzählt, bringt uns der Autor einen Konflikt näher, in den auch wir Europäer involviert waren und der uns, auch wenn man das mit unserer westlich geprägten Sichtweise nicht glauben mag, auch heute nachhaltig beeinflusst. Ein ganz starker Roman, dem ich durchaus den Preis gönne und der mein persönlicher Favorit ist. Knapp dahinter auf dem zweiten Platz sehe ich Maxim Biller und mit Außenseiterchancen Susanne Röckel. Nino Haratischwilli, so leid es mir tut, sehe ich nicht auf dem Treppchen. Sie ist verdient auf die lange Liste gekommen, aber der Nominierung für die Shortlist stehe ich etwas kritisch gegenüber, dafür sind einige sprachliche Schnitzer in diesem Buch enthalten, über die man immer wieder stolpert. Darauf gehe ich aber näher ein, wenn ich das Buch direkt bespreche. Morgen sind wir dann schlauer und dann gibt es noch ein letztes Update zu diesem Text.
Ah, sehr schön, dass Du auch über die Bücher der Shortlist schreibst. Hab erstmal nur den Teil mit Sechs Koffer gelesen, da ich bisher nur das Buch auslas.
Die Adjektive sind mir jetzt auch nicht aufgefallen. Generell fand ich Billers Sprachstil unauffällig. Das Thema Judentum hat er schon ziemlich inszeniert, aber der Antisemitismus wird so stattgefunden haben, wie Biller ihn beschreibt. Lediglich die Andeutung, dass man den Großvater auch deshalb hinrichtete, weil er Jude war, konnte ich nicht nachvollziehen. Er war ja ein Krimineller, ganz unabhängig von seinem Glauben.
Mir hat das Buch aber insgesamt nicht so gefallen. War mir zuviel Soap und zuviel Biller.
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Das mit dem soapigen kann ich sogar nachvollziehen, doch für eine Familiengeschichte war das alles schön verdichtet und komprimiert zusammengeschrieben. Ich denke aber auch, dass, wenn man Biller als öffentlichen Mensch und Schriftsteller besser kennt, dieses Buch nichts besonderes ist und er sich zu sehr in den Mittelpunkt rückt.
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