
Diesmal richtiger Horror mit Vampiren
Der zweite Roman von Stephen King steigt entgegen Carrie direkt ins Horrorgenre ein und spielt mit einem Urfeind des Menschen, dem Vampir. Während bei Carrie noch plausible und mögliche Gründe angeführt werden, dass es alles real sein könnte, was in Chamberlain passiert ist, so gibt es in dem zweiten Buch reinen Monsterhorror geboten. Aber mit der für King mittlerweile bekannten Art, Einführung, Stadt und Charaktere sehr ausführlich vorzustellen und das Szenario langsam aufzubauen. Lange bekommt man von Vampiren nichts zu spüren und zu sehen, vielmehr sorgt ein Haus für unangenehme Gefühle in der Magengegend, in dem sich ein zurückgezogener Mann erhängt hatte, nachdem er seine Frau folterte und erschoss. Dieses Haus zieht den Schriftsteller Ben Mears an, der darüber schreiben will und dadurch ein frühes Kindheitstrauma loswerden möchte, als er noch in dieser Stadt namens Jerusalems Lot lebte. Doch was dann auf ihn einstürzt ist mit normalem Verstand nicht mehr zu ertragen. Er glaubt zwar an vieles und ist auch offen für übernatürliche Phänomene, aber diese Sache scheint auch ihn über den Kopf zu wachsen. Jedenfalls packt Stephen King schon in diesen zweiten Roman alles rein, was ihn in seinen späteren Büchern auszeichnen wird. Eine typisch verschlafene, amerikanische Kleinstadt in Maine, welches die Nähe zu den Großstädten wie New York oder Portland zwar atmet, aber trotzdem seinen eigenen Gang geht. Die darin typisch verschlafenen amerikanischen Bürger, die ihrem Trott nachgehen, die alle ihre kleinen Geheimnisse mit sich herumtragen und jeder jeden zu kennen scheint. Und dann diese typische Erzählweise Kings, alles langsam anzugehen, Spannung aufzubauen, nur um dann so richtig auf den Putz zu hauen. In manchen Büchern übertreibt er es im letzten Drittel, in Brennen muss Salem zum Glück nicht. Einzig bei der sprachlichen Ebene muss man gegenüber dem Debüt und auch späteren Werken ein paar kleinere Abstriche machen.
Ich selber habe wieder zum Hörbuch gegriffen und war am Anfang gelinde gesagt enttäuscht von der Sprecherleistung Jürgen Kluckerts, was aber nach dem grandiosen Hörbuch zu Carrie und der Leistung von Franziska Pigullas auch ein bisschen unfair ist. Aueßrdem klingelte es leise im Hinterkopf, dass mir diese Stimme sehr bekannt vorkommt. Doch die Leistung besserte sich doch ab dem zweiten Drittel deutlich. Darauf möchte ich später detaillierter eingehen. Ich habe jedenfalls, genauso wie Carrie, Brennen muss Salem zum ersten Mal genießen dürfen und war hin weg von dieser Geschichte. Sie ist spannend und lässt einen nicht mehr los. The Lot und seine Einwohner wachsen einem ans Herz und man will wissen, was mit dieser kleinen Stadt und seinen Einwohnern passiert und ob es Ben Mears beziehungsweise Donald Callahan (als Turmkenner wissen wir ja, dass auch er mitmischt) gelingt, die Gefahr zurückzuschlagen.
Wie tot kann ein Ort nur werden?
Jerusalems Lot, Salems Lot oder auch nur kurz The Lot, ist der Schauplatz des Geschehens und der titelgebender Ort. In dieses Städtchen kehrt der Schriftsteller Ben Mears nach vielen Jahren der Abwesenheit zurück und will dort sein drittes Buch schreiben. Als er noch ein Kind war hat er an einer Mutprobe teilgenommen und ist in ein verlassenes Haus eingedrungen, welches alle in der Stadt nur als das Marstenhaus bezeichnen und in dem sich ein Hubert Marsten vor einigen Jahren erst seine Frau erschoss und sich selbst dann erhängte. Diese Mutprobe jedenfalls artete in Bens Gehirn so aus, dass er den erhängten Marsten hängen sah und dieser sogar seine Augen öffnete. Über die Jahre hat sich Ben eine Theorie erarbeitet, dass das Marstenhaus das pure Böse repräsentiert und der Geist von Hubie Marsten dort immer noch umgeht. Er will über dieses Haus schreiben und während dieser Zeit in diesem Haus wohnen. Erstaunt stellt er aber fest, dass das Haus verkauft wurde und mit diesem Verkauf nehmen in Salems Lot die Merkwürdigkeiten ihren Lauf. Die Leute, die dieses Haus gekauft haben, wollen auch ein Geschäft mit Antiquitäten in der Stadt eröffnen. Nach und nach schleicht sich bei Ben ein komisches Gefühl in Bezug auf die neuen Bewohner des Marstenhauses ein und er sucht Verbündete, um seine Mutmaßungen mit jemanden zu teilen. Da wäre zum einen seine neu gewonnene Freundin Susan und auch der Lehrer Matt, die seinen Theorien gewissen Glauben entgegen bringen. Als sich allerdings die abnormalen Todesfälle und das Verschwinden von Leuten häufen, kommen Matt und Ben auf eine völlig abwegige Theorie – Vampire. Doch wie beweisen?
Guter Plot, etwas einfache Sprache, aber sehr spannend
In geschriebener Form ist dieses Buch über 700 Seiten stark und damit gibt gleich sein zweites Werk einen Vorgeschmack auf das, was King an dicken Wälzern schreiben wird. Hier braucht es in meinen Augen jede Seite (oder in meinem Fall Minute), um diese Geschichte zu erzählen. Es ist nichts zu wenig. Man mag einwenden, dass sich King am Anfang nicht so richtig entscheiden kann, wohin es gehen soll, doch wenn man seine Geschichten ein wenig kennt, weiß man, dass es alles auf eine gewisse Weise Sinn ergibt. So stolpern wir ebenso ahnungslos wie die Hauptfigur Ben Mears in diese Vampirgeschichte hinein. Schauen ungläubig zu, wie sie sich diesem Szenario stellen müssen, nicht richtig wissen, was sie tun sollen. Dabei schreibt King so lebensnah, dass einem der Schauer über den Rücken läuft. Zum einen beschreibt er die kleine Stadt Jerusalems Lot so detailgetreu, dass man glaubt, diese zu kennen. Die Bewohner darin, schrullige und normale, beschreibt er ebenso nah, dass sie einem wie entfernte Bekannte vorkommen, die man ewig nicht mehr gesehen hat. Dazu sind teilweise so alltägliche Situationen dabei, die noch nicht einmal mit Horror durchzogen sind, dass man richtiggehend mitfiebert. Da ist zum Beispiel ein Streit zwischen Susan und ihrer Mutter enthalten, der sich um die Beziehung zu Ben dreht. Allein diese Szene lässt so vieles aus der eigenen Jugendzeit aufleben, als man selber ständig im Konflikt mit seinen Eltern war. Das und noch vieles mehr ist so lebensecht geschrieben, dass man regelrecht in diese Geschichte gesaugt wird und erst wieder rauskommt, wenn es endgültig zu Ende ist. Einzig die benutzte Sprache ist hier noch ein wenig holprig, gegenüber Carrie sogar ein kleiner Rückschritt. Zu viele wies und weils und auch Wiederholungen von Satzteilen sind bemerkbar. Das alles jedoch wird durch die intensive Spannung, die sich nach und nach aufbaut, bei weitem wett gemacht.
Kenner des dunklen Turms bekommen den ersten Querverweis
Als kleines Gimmick für die Kenner vom Dunklen Turm gibt es in diesem Buch die erste Figur, die im Fünften Band der Reihe auftauchen wird. Der Pater Donald Callahan. In „The Wolves of the Callah” erzählt er seine Geschichte, wie es im nach der Begegnung mit Kurt Barlow, dem Meistervampir, erging und was seine Rettung war. Diese Odysee nimmt in dem fünften Buch ziemlich viel Platz ein und damals, in Unkenntnis von Brennen muss Salem, konnte ich das kaum einordnen. Nun freue ich mich umso mehr, wenn ich im Zuge des Projekts Dark Tower an diese Passagen gelange und werde sie umso mehr genießen, denn Callahan ist in Salems Lot mit die spannendste und komplexeste Nebenfigur. Als Priester müsste er eigentlich eine Hilfe sein im Kampf gegen die Vampire, aber irgendwann ist er von seinem Glauben abgefallen und hat mehr den Trost im Alkohol gesucht. Das wird ihm im Kampf gegen Barlow zum Verhängnis und er wird zu einem Verdammten.
Hörbuch: Ja oder Nein?
Noch ein paar Worte möchte ich auch zum Sprecher und zum Hörbuch verlieren, denn wie ich eingangs erwähnte, war ich ein wenig enttäuscht vom Sprecher und seiner anscheinend nicht vorhandenen Motivation, das Buch einzusprechen. Zumindest war das mein Gefühl, denn es gab kaum Unterschiede in den Sprechrollen. Alles wirkte runtergeleiert und einfach monoton abgelesen. Hat er dann mal für eine Figur (z.B. Straker, den menschlichen Gehilfen von Barlow) eine eigene Betonung gefunden, hat er sie ein paar Minuten später wieder verloren. So ging es die ersten Stunden dahin und ich war kurz davor abzubrechen und mir doch noch das Buch zu kaufen. Doch dann fängt sich Kluckert und die Sprechleistung steigert sich enorm ab dem zweiten Drittel. Die Betonung stimmt, es wirkt nicht mehr runtergeleiert und war auch so, wie ich mir ein Hörbuch vorstelle. Man bekommt wirklich latent Angst und der Grundton des Buches wurde dann gut getroffen. Im Endeffekt war auch eine anfängliche Irritation dafür verantwortlich, dass mir der Sprecher nicht gefallen hat. Denn leise im Hinterkopf klingelte es, mir kam die Stimme bekannt vor und siehe da, der Eintrag bei Wikipedia brachte zum einen einige Synchronsprecherrollen bei bekannten Schauspielern zutage (z.B. Chuck Norris, Carl Weathers, Danny Glover, Donald Sutherland, Morgan Freeman). Doch das war es nicht, was mich aus der Bahn warf. Er ist seit 1994 Sprecher von Benjamin Blümchen und das war es, was mich ein wenig blockiert hat. Denn wenn man diese Stimme bei Kindergeschichten abgespeichert hat und diese plötzlich ein Horrorbuch einspricht, sorgt das für ein klein wenig Verschränkung im Gehirn. Nachdem ich das wusste, platzte ein wenig der Knoten, der mir den Genuss von diese Hörbuch verhagelte.
Spannende Vampirgeschichte im verschlafenen Maine
Wenn man sich vor Augen hält, dass dieses Buch das Zweite (!) von Stephen King ist, welches veröffentlicht wurde, dann kann man sich das gar nicht so richtig vorstellen. Er schreibt schon in diesem Buch so ausgewogen und reif, dass man sich diesen Fakt ungläubig des Zweitromans immer wieder vor Augen führen muss. Gegenüber Carrie, wo der Horror aus dem alltäglichen heraus geschieht und eigentlich nur die Komponente Telekinese die Situation eskalieren lässt, ist Brennen muss Salem ein klassisches Horrorbuch, eine Hommage an Bram Stokers Dracula und alle anderen klassischen Vampirgeschichten. Stephen King lässt vieles einfließen, was man von Vampiren und über die Regeln im Kampf gegen diese kennt, verlegt die klassische Vampirgeschichte nach Maine und verwebt seine Art, Horror zu übermitteln, mit der klassischen Art, Vampirgeschichten zu erzählen. Dieses Buch wandert in meiner Hitliste der besten Bücher Kings ganz weit nach vorn und das beim ersten Mal lesen/hören.
Weitere Besprechungen zum Buch findet ihr bei:
„Brennen muss Salem“ zählt zu meinen liebsten King-Büchern, ich hatte da vor Jahren auch mal drüber gebloggt:
https://annesleselisten.wordpress.com/2013/11/01/august-2010-stephen-king-brennen-muss-salem/
Noch ein kleiner Hinweis: Der ehemalige Bewohner des verfluchten Hauses schreibt sich Marsten, nicht Maasten (kann beim Audiobuch natürlich nicht so gut raushören).
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Hallo Anne, danke für den Hinweis. Werde es noch korrigieren.
Ja Brennen muss Salem reiht sich auch bei mir ganz weit oben ein. Klassische Horrorgeschichte, sehr gruselig umgesetzt. Vielleicht kommt ja nochmal eine neue Verfilmung? Die alte TV Umsetzung von damals sieht ja grauselig aus.
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Heyo!
Eine sehr schöne, super ausführliche Besprechung! Interessant fand ich auch deine Erwähnung der 700 Seiten – denn meine Ausgabe hat lediglich 400 vorzuweisen. Da es sich um keine gekürzte Version handelt, schließe ich daraus, dass man jenseits der 90er große Schriftarten entdeckt hat. 😄
Liebe Grüße!
Gabriela
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Moin moin,
Ja, die Seitenzahl hat mich auch irritiert, weil ich ja wusste, dass du knapp 400 angegeben hast. Allerdings empfand ich frühere TBs, gerade die aus den 90ern sehr eng bedruckt. Vielleicht rührt das daher, wer weiß. Ich überlege schön, ob ich mir die Hardcoverausgabe noch zulege, dann würde ich es ja sehen 😉
Liebe Grüße ins Overlook Hotel 😎
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