Eine Besprechung in mehreren Teilen – Teil 1: EIne Seuche löscht die Menschheit aus
Vor drei Jahren hatte Birgit vom Blog „Sätze&Schätze“ nach den Klassikern gefragt, die man in seinem Leseleben gerne und vielleicht auch mehrmals gelesen hat, die sich ins Gedächtnis eingebrannt haben, ins eigene und ins kollektive. Viele haben alte Schinken gewählt, die alle ihre Daseinsberechtigung als klassische Lektüre haben. Ich bin dann aber wieder mit einem Buch ins Haus gestürmt und habe gemeint, dass man doch auch Bücher nach 1945 als Klassiker bezeichnen darf und dann auch bitte schön von solchen Autoren wie Stephen King. Dazu habe ich meinen ganz persönlichen Klassiker ausgewählt, der mich erst so richtig zu Stephen King geführt hat – „The Stand – Das letzte Gefecht“ in der überarbeiteten, vollständigen Fassung. Da ich aktuell an meinem Stephen King – Marathon dran bin, quasi mitten drin stecke, bietet sich dieser kleine Aufhänger an. Jedenfalls schlug dieser Beitrag bei Birgit und anderen MitleserInnen ihres Blogs enorm hohe Wellenund viele brachten ihre Anekdoten zu diesem Buch speziell und zu Stephen King im Allgemeinen hervor. Ich fand interessant, wie viele mit diesem Autor in Berührung gekommen sind und ihn auch zu schätzen wussten oder es immer noch tun. Für mich persönlich, und daraus mache ich keinen Hehl, ist es einer der größten amerikanischen Autoren der letzten Jahrzehnte und das liegt nicht an seinen Verkaufszahlen oder dem Horror, sondern vielmehr, weil ich ihn als Chronist der modernen amerikanischen Gesellschaft sehe. Neben all dem Horror, der sich da einschleicht, hat er auch viele normale Dinge in seine Geschichten eingeflochten und so ein Panoptikum von Amerika geschaffen, wie es wenige vor ihm getan haben und auch wenige nach ihm tun werden.
Viren die aus den Tiefen der Wüste entsteigen
Speziell an The Stand lässt sich das sehr gut festhalten. Da beschreibt er vor allem in den ersten 300 Seiten einige Charaktere, Menschen wie du und ich, mit ihren Sorgen, Nöten und Hoffnungen. Er wirft sie in eine von ihm erschaffene Welt, die zu Beginn nach und nach von einem Virus darin gerafft wird, der über 99% der menschlichen Bevölkerung tötet. Und wie er das beschreibt ist der helle Wahnsinn. Da das Buch grob in drei Teile aufteilbar ist und der Seitenumfang mit etwas über 1200 Taschenbuchseiten (bzw. 54h Hörbuch) sehr groß ausfällt, bietet es sich an, auch die Besprechung ein wenig zu gliedern. So möchte ich euch heute in dem ersten Teil den Part des Buches beschreiben, der die Apokalypse herauf beschwört und die ganze Menschheit vom Angesicht dieses Planeten fegt. Ich habe zwar das alte, vergilbte Taschenbuch in meinem Schrank stehen, doch habe ich mich diesmal dazu entschlossen zum Hörbuch zu greifen. Zum einen, weil ich parallel noch „The Shining“ lese und zum anderen weil ich wissen wollte, was David Nathan mit seiner grandiosen Erzählstimme aus diesem Buch gemacht hat.
Alles fängt mit einem Unfall in einem geheimen Virenlabor in den USA an. Dort wird an militärischen Waffen geforscht, die dann in einem eventuellen Krieg (z.B. im Nahen Osten) eingesetzt werden können. Vergegenwärtigt man sich die Zeit, als das Buch entstanden ist, dann wird einem klar, dass der Vietnamkrieg noch nicht allzu lang her war und auch der Zweite Weltkrieg mit seiner zerstörerischen Kraft wirkte ebenfalls nach. Gerade diese zwei Kriege sollen mal exemplarisch dafür stehen, dass auch taktische Waffen in Erwägung standen und dem menschlichen Geist keine Waffe zu extrem ist, um Bedenken zu haben, sie auch einzusetzen. Jedenfalls geht in einem Labor irgendwo in einer verlassenen Gegend der USA einiges schief. Ein extrem ansteckendes Virus wird frei gesetzt und einer kann diesem Grauen entkommen. Natürlich trägt er das Virus in sich und bringt es an die Oberfläche. Das perfide an diesem Virus ist, dass es eine Krankheit auslöst, die anfänglich wie eine gewöhnliche Grippe daherkommt, jedoch extrem ansteckend und extrem tödlich ist. Anfangs wirkt es noch so, dass alles unter Kontrolle ist und das Militär die Situation gerade noch so in den Griff bekommen hat, doch eine Komponente wurde nicht bedacht und genau diese bringt alles zum Einsturz und die Menschheit an den Rand der Ausrottung. Einige wenige scheinen immun gegen das Virus und diese Menschen müssen zusehen, wie die Welt, wie sie einmal war, in den Abgrund stürzt.
„Jetzt wisst ihr, dass es funktioniert!
Noch Fragen?“
Als ich das Buch vor über 25 Jahren das erste Mal gelesen habe, habe ich diesen ersten Abschnitt, der ungefähr ein Viertel des gesamten Buches ausmacht, innerhalb weniger Tage gelesen oder wie man heute sagt durchgesuchtet. Diese Apokalypse war so real und nah ge- und beschrieben, dass einem Angst und Bange wurde. Klar ist dieses Virus übertrieben, aber ich kann mir vorstellen, dass in vielen Laboren dieser Erde, ob geheim oder nicht, viele tödliche Viren, Bakterien oder synthetische Stoffe darauf lauern, frei gelassen zu werden. Und da reichen schon 30% der Wirkung von dem Virus, welches in „The Stand“ beschrieben wird, dass wir als Menschheit ernsthafte Probleme bekommen – Sicherheitsvorkehrungen hin oder her. Und mit genau dieser Angst spielt Stephen King auf diesen ersten Seiten. Da kommt so gut wie keine übernatürliche Erklärung, es wird einfach ein chronologischer Ablauf der Epidemie geliefert, die einen nah an die Panik bringt. Und was soll ich sagen, wenn man das als Hörbuch hört und dazu noch einen Schnupfen auszukurieren hat, verstärkt es dieses Gruselgefühl noch um einige Oktaven nach oben.
Wenn es jedoch nur eine pure Aufzählung chronologischer Ereignisse wäre, dann hätte „The Stand“ bei weitem schneller in der Versenkung verschwinden können, als King Buh hätte sagen können. Was diesen ersten Teil, der mit „Captain Trips“ umschrieben ist, ausmacht, ist die andere Erzählebene, wie Stephen King seine späteren Hauptfiguren einführt und in dieses Massensterben stolpern lässt. Erst stehen zwischenmenschliche Beziehungen und Ängste im Vordergrund und dann die pure Panik. Und hier beschwört der Autor Situationen herauf, die Dramen im Miniaturformat sind und so lebensecht beschrieben, dass einem manchmal eine Gänsehaut überkommt. Und genau diese Mischung aus Weltuntergang und den kleineren, eigentlich ganz normalen Dramen im Alltag machen diesen ersten Teil so unwiderstehlich gut. Wo andere 300 Seiten benötigen, um eine ganze Geschichte verknappt wiederzugeben, fängt Stephen King gerade erst an, seine eigentliche Geschichte zu erzählen. Passenderweise endet der erste und beginnt der zweite Teil genau am 4.Juli, dem Unabhängigkeitstag der USA, nur dass es in diesem fiktiven Universum des Jahres 1990 nichts mehr zu feiern gibt, was Stephen King mit einer sehr treffenden und urkomischen Szene richtig schön aufzeigt und somit den ersten Teil passend ausklingen lässt.
Der Untergang der Menschheit als langer Prolog
Vielen geht vor allem auf die Nerven, dass Stephen King nicht zum Punkt kommt. Doch genau darin liegt doch das Problem der Sichtweise. Er umschreibt die Dinge so gut und umschweifend, dass einem ganze Szenen und Passagen mehr als lebhaft vor Augen treten, egal ob beim Lesen oder Zuhören. Dazu benötigt er dieses Aussschweifende erzählen, auch wenn da vieles, was zu Papier gebracht wird, später kaum von Belang ist für die eigentliche Geschichte. Als ich mit Stephen King angefangen habe, ging mir das auch gehörig auf den Zeiger und ich kam nicht in seine dicken Schinken rein. Im Nachgang kann ich nur noch darüber lachen, denn nach dem dritten Versuch, ein Buch von ihm zu lesen, sprang der Funke über und seitdem liebe ich seine dicken Schwarten. Und auch „The Stand“ braucht diesen umfangreiche Sprache. Man kommt zwar nicht recht vom Fleck, dafür wird einem beim Lesen bewusst, wie nahe er uns damit seine Charaktere bringt, so dass man im späteren Verlauf um einiges mehr mit ihnen lachen, weinen und mitleiden können.
In diesem Sinne: Das heißt M-O-N-D und das buchstabiert man Captain Trips.
Weitere Besprechungen zu diesem Buch findet ihr sicher zu Hauf im Netz, aber zwei der Inspiratoren (direkt und indirekt) zu diesem Projekt möchte ich an dieser Stelle mit dem jeweils verknüpften Buch verlinken:
Gabriela mit Buchperlenblog
Grit mit Powerschnute
Guten Morgen!
Oh, wie schön, dass du nun auch mit The Stand soweit bist! Gleich vorweg eins: Meine Taschenbuchausgabe kommt auf geschlagene 1700 Seiten, statt „nur“ 1200 – was ist da los? :D
EIne tolle Idee, das BUch in mehreren Teilen zu besprechen, es ist ja doch wirklich sehr sehr viel, was es da zu besprechen gibt potenziell.
Liebe Grüße!
Gabriela
PS: In „Nachtschicht“ wirst du auch nochmal den Weg zurück zu Captain Trips finden :D
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Hallo Gabriela,
das mit den Seiten liegt wohl daran, dass meine Ausgabe die 92er von Bastei Lübbe ist und deine sollte von Heyne sein. Es wird bestimmt etwas mit dem Schriftsatz zu tun haben. Bei mir ist alles recht eng gesetzt und klein geschrieben und wenn man das bissl entzerrt, dann summiert dich das schnell auf 😉
Das Buch in mehreren Teilen zu besprechen war eine spontane Idee, die sich bei dem Umfang wirklich angeboten hat. Bin gespannt, wie die Geschichte eurer auf mich wirkt, denn ich habe sie tatsächlich vor knapp 20 Jahren das letzte Mal gelesen.
Liebe Grüße
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