Stephen King als Märchenonkel
Wenn man sich die chronologische Reihenfolge der Bücher aus der Feder von Stephen King anschaut, so sieht man, dass nach dem Welterfolg ES ein Buch an der Reihe ist, das der Beschreibung nach nicht so ganz in das Muster von Kings Schaffen fällt. Auch bei näherer Betrachtung und hineinlesen bleibt dieser Eindruck bestehen. Wenn man es genau nimmt, haben wir es hier mit einem waschechten Märchen zu tun, bei dem der Erzähler sogar mit den Worten „Es war einmal…“ kokettiert. Es ist ein Märchen an einem Königsschloss, mit Intrigen, es geht um Machterhalt und Machtbesitz, eine unendlich lange Ahnenreihe und auch um Freundschaft, das stärkste Band, das auch die größte Verschwörung zu durchbrechen vermag. Somit hat Stephen King nach dem klassischen Horror einen Roman geschrieben, den sogar Zehnjährige lesen könnten. Es geht so gut wie gar nicht blutrünstig zu und auch der Stil ist komplett anders als zu seinen bisher erschienen Büchern, was nur umso mehr unterstreicht, wie vielfältig Stephen King schreiben konnte und kann.
Eine Verschwörung mit einem mächtigen Zauberer
Alles beginnt mit einem König namens Roland und einem Zauberer namens Flagg, der sein persönlicher Berater ist. Moment Roland? Flagg? Da klingelt bei manchen Leserinnen und Lesern sicher etwas. Dazu später mehr. Roland hatte zwei Söhne, Peter und Thomas. Peter war der Geschicktere und Schlauere von beiden und beanspruchte als erster Nachfahre den Thron diesen Platz für sich. Doch er wollte diesen nicht erzwingen, vielmehr den natürlichen Lauf abwarten. Er liebte seinen Vater sehr und ehrte ihn, auch wenn dieser nicht der Hellste war, hatte er doch ein ehrliches Herz. Doch Peter als neuer König war dem Hofzauberer Flagg ein Dorn im Auge, der stets nur seinen Vorteil sah und am liebsten Chaos und Verwüstung im Königreich Delain anrichten wollte. Und so musste es kommen, dass er Roland mit einem Gift tötete und diese Tat Peter in die Schuhe schob. Peter wurde in einen Gefängnisturm innerhalb der Schlossmauern und der erst 12 Jährige Thomas, der durch ein Geheimversteck den heimtückischen Mord an seinem Vater beobachtet hatte, wurde zum König gekrönt. Flagg hatte das erreicht, was er wollte und konnte den neuen König nach seinem Willen formen. Durch Steuererhöhungen und unzählige Hinrichtungen errichtete Flagg über Thomas ein Regiment der Angst und der Bedrohung. Konnte dem Peter aus dem Gefängnis heraus noch etwas entgegensetzen? Und wer glaubte ihm eigentlich noch, dass er seinen Vater nicht umgebracht hat?
Manche Namen sind sehr vertraut
Nach dem monumentalen Roman ES brauchte Stephen King wohl eine Änderung, eine Schreibübung, um nach dem kräftezehrenden Trip nach Derry etwas zu schaffen, was ihn etwas auflockert. Anders kann ich mir nicht erklären, wie dieses in seinem Schreiben andersartige Buch zustande gekommen sein könnte. Es ist wie aus einem Grimmschen Märchen entsprungen, nur ohne Hexe, dafür mit einem bösartigen, durchtriebenen Zauberer, was ja auch nicht viel besser ist. Doch was fällt einem beim Lesen sofort auf? Klingen nicht manche Namen und Orte sehr vertraut? Allein das Königreich namens Delain oder der König namens Roland, aber auch der Hofzauberer Flagg. Wer die Reihe um den Dunklen Turm kennt, der wird grinsend nicken, sind es doch sehr offene Anspielungen auf diese Namen und Orte. Da der Turm eines der zentralen Elemente im Schaffen von Stephen King ist, kommen diese Anspielungen immer wieder vor und hier sind sie ziemlich offensichtlich. Ob da jedoch mehr dahinter steckt? Ist es wirklich eine Referenz auf den Dunklen Turm? Das würde ich für mich an dieser Stelle mal abstreiten, denn auch wenn manche Namen und auch Redewendungen einen ähnlichen Klang haben, so hat das eine mit dem anderen wohl fast nichts zu tun. Es ist, wenn man so will, eine simple Geschichte um den ewigen Kampf Gut gegen Böse, den King in seinen Büchern natürlich immer wieder ausfechten lässt. Hier eben in der Form eines Märchens der Marke „Es war einmal…“.
Anders, aber trotzdem gut
Wer jetzt denkt, das kann doch nichts werden, der irrt gewaltig. Denn Stephen King versteht es wunderbar, diese Geschichte kurzweilig zu erzählen, so dass man mit angespannten Fingernägeln am Ball bleibt. Die Ausgangslage ist simpel und auch der Verlauf der Geschichte bleibt es. Und doch hat man eine Art fieberndes Kribbeln, wenn man mit allen guten Figuren bibbert und hofft, dass sich alles zum Guten wendet. Die Geschichte ist dabei in viele kleine Kapitel eingeteilt, manche nur eine halbe Seite und der Großteil meist nicht länger als zwei bis drei Seiten. So bleibt man als Leser*in am Ball und wird von einem Cliffhanger zum nächsten getrieben. Die Zutaten sind vorhanden, die Geschichte ist sprachlich wohlfeil erzählt und man merkt das Können von Stephen King an, mit einem Fingerschnippen seinen Stil zu wechseln, was ihm hier vortrefflich gelingt.
Auch wenn ich „Die Augen des Drachen“ nicht unbedingt in meine Top10 seiner besten Bücher aufnehme so bleibt dieses Buch definitiv im Gedächtnis haften. Alleine schon dadurch, wie es erzählt ist und keine Horrorelemente im eigentlichen Sinne enthält, sondern vielmehr klassisches Erzählen eines Märchens bietet. Mit diesem Buch kann man es sich wunderbar vorstellen, an einem Kamin in einem mittelalterlichen Schloss zu sitzen und dieses Buch bei prasselndem Feuer zu lesen. Es ist ein Buch, was zwar wie nebenbei geschrieben wirkt, aber trotz dessen nicht langweilig ist.
Weitere Besprechungen zu diesem Buch findet ihr bei:
Ich habe das Buch letztes Jahr auch zum ersten Mal gelesen und ich fand es toll. Mal ganz was Anderes vom Meister.
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Huhu Marc!
Also ich kann es absolut nicht anders sagen, ich habe Die Augen des Drachen geliebt. Ich würde mich so freuen, wenn wir auf unserer Reise ein weiteres Buch in diesem Stil finden würden – auch wenn ich das bisher fast nicht glaube. Die ANspielungen an den Turm habe ich selbstverständlich auch wahrgenommen und für mich gedacht, dass King wohl einfach nicht ohne Roland von Deschain leben kann :D
Liebe Grüße!
Gabriela
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