
Wenn sich das Pseudonym verselbstständigt
Stephen King ist ein Schriftsteller, der oftmals aus seinen eigenen Ängsten und Horrorvorstellungen einen Roman baut, der danach die Massen begeistert. Zudem baut er immer wieder gerne Querverweise, Metaebenen und vieles mehr in seine Bücher ein, so dass man in seinem Gesamtwerk immer wieder auf alte Bekannte trifft oder Dinge aus dem Leben von Stephen King wieder erkennt. In Stark – The Dark Half treibt er es damit sogar richtig auf die Spitze, denn der Roman handelt von einem Schriftsteller, dessen Pseudonym sich verselbstständigt und versucht, in das Reich der Lebenden vorzustoßen. Dazu muss man wissen, dass Stephen King selbst jahrelang unter Pseudonym geschrieben hat. Mit dem Namen Richard Bachman verbinden heutzutage sicher die wenigsten etwas, außer es sind Fans seit langer Zeit oder haben sich schon etwas tiefer mit der Materie beschäftigt.
In den 1970ern und 1980ern war es jedenfalls so, dass Stephen King unter dem Pseudonym Richard Bachman einige Bücher veröffentlicht hat (z.B. Amok, Der Fluch, Todesmarsch oder Menschenjagd – hinter den jeweiligen Titeln, außer bei Todesmarsch, findet ihr auch die entsprechenden Besprechungen von mir). Diese Bücher waren vom Klang und der Thematik her völlig anders als die Bücher von Stephen King. Sie waren irgendwie rauer, trostloser und recht brutal. King wollte dieser Bücher nicht unter seinem eigenen Namen veröffentlichen, da sie in seinen Augen nicht so recht zu seinem eigentlichen Stil passen wollten, und wollte sehen, ob sie auch auf eigenständigen Füßen stehen können. Also erfand er das Pseudonym Richard Bachman, mit kompletten Lebenslauf, Autorenfoto und was noch dazu gehört.
Das alles sollte man sich vergegenwärtigen, wenn man dieses Buch anfängt. Stark – The Dark Half ist an sich schon richtig spannend und gruselig geschrieben, so erfährt es durch diesen Hintergrund noch eine ganz andere Ebene und es wirkt um einiges besser nach, als wenn man diese Geschichte für sich selbst liest.
Kein angenehmer Zeitgenosse
Thad Beaumont ist ein recht erfolgloser Schriftsteller. Zwar anfangs von der Kritik gefeiert, sind seine Bücher Ladenhüter, die keinen interessieren. Wäre da nicht sein Pseudonym George Stark, das ihm die Brötchen verdient, so würde er wohl mit seiner Frau Liz und seinen beiden Zwillingskindern ein recht einfaches und beschauliches Leben. In den Büchern von Stark geht es recht kriminell und bösartig zu und die Hauptfigur Alexis Machine ist kein Kind von Traurigkeit. Doch jemand hat heraus gefunden, dass Thad George ist und somit tritt er die Flucht nach vorn an und gibt bekannt, wer hinter George Stark steckt und begäbt ihn auch gleichzeitig öffentlichkeitswirksam auf dem Friedhof von Castle Rock, zusammen mit einem Grabstein auf dem steht, dass Stark kein angenehmer Zeitgenosse ist. Aus dieser Begebenheit wird ein großer Artikel gemacht, der einige Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Während Thad denkt, dass sich diese Angelegenheit nun erledigt hat und er sich ganz dem Schreiben seiner „eigenen“ Werke widmen kann, geschehen in New York einige bizarre Morde, bei denen alle Beteiligten an dem Artikel über die Aufdeckung des Pseudonyms ermordet werden. Alle Spuren führen zu Thad Beaumont, da an den Tatorten eindeutig seine Fingerabdrücke gefunden wurden. Alan Pangborn, der Sheriff von Castle Rock, der Ort, in dem erste Mord geschah, möchte Thad verhaften. Doch dieser kann ihm glaubhaft versichern, dass er zu besagten Zeitpunkt nicht in Castle Rock gewesen sein konnte. Doch wer hat den Mord in Castle Rock und auch die Tötungen in New York zu verantworten? Die Antwort kommt schnell und wird vor allem Thad und seiner Frau Liz überhaupt nicht gefallen. Sie ahnen etwas, können jedoch niemanden darüber erzählen, da niemand ihnen glauben würde. Sie vermuten, dass George Stark aus seinem Grab empor gestiegen ist, um sich an Thad zu rächen.
Schonungslos brutal und absolut meta
Wie eingangs schon erklärt, schreibt King oftmals persönliche Erfahrungen in seine Romane, manifestiert seine persönlichen Albträume auf Papier. So macht er es auch hier, indem er das Pseudonym seiner Schriftstellerfigur Thad Beaumont aus dem Reich der Toten wiederauferstehen lässt. Doch diesmal gehen die persönlichen Erfahrungen viel tiefer und bilden eine Art Metaebene, die diesen Roman um einiges besser wirken lassen, wenn man diese kennt. Ich hatte dieses Buch schon vor einigen Jahren das erste Mal gelesen und da hatte ich die Sache mit dem Pseudonym noch nicht im Sinn. Vielmehr las ich damals einen gruseligen und brutalen Thriller mit übernatürlichem Einschlag, bei dem ich mich recht schnell an nichts weiter erinnern konnte, außer dass jede Menge Sperlinge vorkamen.
Und jetzt? Bei diesem zweiten Anlauf hatte ich viel feinere Antennen für die ganzen Zwischentöne, die Ebenen, die King in dieses Buch eingeschoben hat und die dieses Buch weit über das heben, was es oberflächlich betrachtet ist. Denn allein, wie er die Thematik Pseudonym und wie es einen Autor beeinflussen kann, ist schon allein das Lesen von diesem Buch wert. Doch auch die Art, wie King seine eigene Geschichte spiegelt, indem hier der eigentliche Autor der erfolglosere Schriftsteller ist und das Pseudonym die ganzen Meriten einheimst, ist ein kluger Schachzug. Am meisten beeindruckt hat mich jedoch, wie er die Stile vermischt, mit denen er als Bachman und als King schreibt. Durch das Leseprojekt konnte ich nun die unterschiedlichen Merkmale auseinander halten, wie King und wie Bachman schreiben. Schaut man auf das erste Drittel des Romans merkt man deutlich, dass Bachman hier die Zügel in der Hand gehalten hat und erst danach übernimmt King diese und führt nach und nach die übernatürlichen Komponenten zusammen, spürt den Figuren etwas mehr nach und haucht auch den Nebenfiguren Leben ein, was nie Bachmans Stärke war. Und dann kommt noch eine weitere Metaebene hinzu, die ich zugegebenermaßen erst durch King-Wiki und andere Seiten erkannt habe. All die Zwischensequenzen, die in dem Buch vorkommen und die fiktionalen Texte, die von George Stark stammen, sind Auszüge aus Büchern, die ursprünglich als Ideen oder Skizzen für neue Romane von Richard Bachman vorgesehen waren, die aber nie realisiert wurden, weil es eben zu dieser Aufdeckung dieses Pseudonyms kam. So wirkt alles um einiges realer und beeinflusst die Fiktion.
Bei all dem Gerede um diese Metaebenen ist dieser Roman aber vor allem eins: Ein richtiger Schocker, den Stephen King aufgeschrieben hat und bis dato eines seiner brutalsten Werke, was den Härtegrad angeht. Allein, was im ersten Drittel passiert, ist in manch anderen Buchreihen nicht mal die Summe aller Figuren, die daran glauben müssen. Doch genau wegen diesem Tempo hat das Buch auch ein Problem im danach anschließenden Plot und hat im mittleren Drittel einen kleinen Hänger, den man aber wunderbar zum durchschnaufen nutzen kann und auch einiges an Theorie geliefert bekommt, was denn nun passiert sein könnte. Und diese Mitte leitet dann von dem Bachmanschen in den Kingschen Teil über, der mehr Mystik und Dramatik beinhaltet und nicht mehr ganz so brutal, dafür aber ekeliger und horrorartiger daherkommt.
Was ist eigentlich noch wichtig an diesem Buch? Es ist ein wichtiger Bestandteil des Castle Rock-Zyklus, eine mehrere Romane umspannende Erzählung, die alle lose miteinander verknüpft sind. So werden wir zum Beispiel an die Ereignisse aus Cujo erinnert und auch Dead Zone spielte mit vielen Szenen in diesem Ort. Und nun lernen wir in Stark – The Dark Half den neuen Sheriff Alan Pangborn kennen, der den Sheriff ersetzt, der in Cujo vom Bernhardiner getötet wurde. Pangborn spielt in diesem Roman keine unwesentliche Rolle und ist doch meist nur zum Zuschauen verdammt. Allerdings wird mit ihm eine Figur eingeführt, die wir in „Needful Things“ (der Roman, der diesem hier nachfolgt) wiedersehen werden und dort ist sie dann zentraler Bestandteil der Handlung. Aber auch der Ort selbst kommt in Zukunft weiterhin vor und wird in gerade genanntem Buch und auch später immer wieder eine Rolle spielen.
Alles in allem macht dieses Buch verdammt viel richtig und konnte gegenüber dem ersten Mal, als ich das Buch gelesen hatte, enorm punkten. Mir kam es fast so vor, als würde ich es aktuell fast komplett neu erfahren. Einzig ein paar Passagen konnte ich noch erinnern, doch 90% der Details waren wie weggefegt. Ich kannte zwar noch die grobe Struktur des Plots, aber da ich nun auch die Hintergründe mit dem Pseudonym von King besser kannte, war es ein größerer Genuss als beim ersten Lesen. Ich wusste damals nicht so recht, was ich mit diesem Werk anfangen sollte. Das hat sich diesmal eindeutig geändert und zwar auf eine sehr gute Art und Weise. Und trotzdem würde ich das Buch bei mir nicht unbedingt ganz weit vorne in einer möglichen Rangliste einordnen. Vielmehr sehe ich als eine Art Geheimtipp für Wiedereinsteiger oder solche, die sich schon ein wenig mit Kings Werken auskennen und sich etwas tiefer in die Materie einsaugen lassen wollen.
Den habe ich vor ein paar Wochen zum zweiten Mal gelesen und war auch beeindruckt von der Geschichte. Harter Tobak, ein richtig guter King.
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Dem kann ich nur zustimmen. Harter Tobak, aber, ich kann das nicht oft betonen, auf der Metaebene mit diesem Pseudonym ein ganz starker Roman, wie er da seine eigene Geschichte drin innerhalb der Horrorgrenzen verarbeitet.
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