[Projekt Stephen King]: 4 nach Mitternacht

Da mittlerweile die Lust zum Bloggen über Bücher langsam wieder erwacht, wird es auch Zeit, dass Projekt Stephen King in eine Wiederbelebung zu schicken, meint ihr nicht? Da ich in meiner Blogpause ein wenig voran gekommen bin im Projekt, kann ich euch in relativ kurzer Zeit zwei Titel vorstellen und bald ist auch ein drittes ausgelesen, was dann hier ebenfalls in den Blog gestellt wird. Es wird hier in nächster Zeit wieder etwas lebendiger. Also gehen wir es an und schauen nach, wie Stephen King in die 1990er startete. und zwar mit ….

… zur Abwechslung mal wieder Novellen

Mit „Four past midnight“ oder „4 nach Mitternacht“, wie der Sammelband auf Deutsch heißt, hat King nach „Frühling, Sommer, Herbst und Tod“ eine zweite Novellensammlung veröffentlicht, die sich aber zu der ersten Sammlung thematisch deutlich und qualitativ ein wenig unterscheidet. Während „Frühling, Sommer, Herbst und Tod“ den recht natürlichen und menschlichen Horror bemühte, teils sogar sehr romanartig wirkte, haben die nun vier vorliegenden Geschichten den puren Horror, vor allem übernatürlicher Art zu bieten und sind wirklich eher als Novelle einzuordnen, als das sie schon Richtung Roman gehen würden, mit der Ausnahme der ersten Novelle „Langoliers“, die auch gleichzeitig die längste Geschichte der vier hier versammelten ist. Die gerade erwähnte Novelle „Langoliers“ ist auch die erste in dem Sammelband und setzt gleich hohe Maßstäbe und etabliert gleichzeitig Bilder, die locker bei der Serie „Lost“ Platz gefunden hätten. Doch auch die anderen drei Geschichten „Das heimliche Fenster, der heimliche Garten“, „Der Bibliothekspolizist“ und „Zeitraffer“ müssen sich hinter den Langoliers nicht verstecken. Allerdings reicht die Qualität dieser vier Kurzromane nicht ganz an die aus „Frühling, Sommer, Herbst und Tod“ heran, bin ich mir doch ziemlich sicher, dass diese mir nicht so präsent bleiben werden wie noch die Stories „Die Leiche“, „Die Verurteilten“ oder „Der Musterschüler“. Das dies jedoch Jammern auf hohem Niveau ist, sollen euch die nächsten Zeilen näher bringen.

Das Gruseln in der Stunde der Geister

Stephen King versteht es selbst nach über 15 Jahren seines eigenen Schaffens und immensen Welterfolgen einen zu überraschen. Innerhalb meines chronologischen Lesens denke ich immer wieder, dass ich schon so einige Kniffe des Autors kennen sollte. Auch mit welchen Winkelzügen er seine Geschichten versieht. Und doch ist es jedes Mal aufs Neue faszinierend, wie King es schafft mich zu begeistern, sowohl auf der sprachlichen als auch der inhaltlichen Ebene (auch wenn das gegenüber der Aussage im ersten Abschnitt etwas widersprüchlich aussehen mag). Diese vier Novellen oder Kurzromane mögen auf den ersten Blick sehr konventionell in ihrer Art wirken, Horror an den oder die Leser*in zu übertragen, haben aber trotz allem Bilder und Abschnitte, die schwer zu ertragen sind. Doch worum geht es in den vier Geschichten nun genau? Dazu jeweils eine kleine Zusammenfassung.

In „Langoliers“ werden wir Zeuge, wie ein Flugzeug durch eine Art Spalt im Raum-Zeit-Kontinuum in eine Art Zeitverzögerung geraten, was wie eine Parallelwelt wirkt. Sie sind quasi in der Zeit zurück gekehrt, aber in dieser Zeitschleife wirkt alles leblos und leer. Alle im Flugzeug, die tief geschlafen haben, sind noch am Leben, alle anderen sind durch den Zeitsprung wie „aufgelöst“. Die Überlebenden müssen nun einen Weg zurück finden. Allerdings haben sie ein Problem mehr. Ein blindes Mädchen, das ebenfalls überlebt hat, hört von Beginn an eine Art Fressgeräusch, das stetig näher zu kommen scheint. Ob es die berüchtigten Langoliers sind, wie von einem anderen Passagier behauptet?

In „Das heimliche Fenster, der heimliche Garten“ wird ein Schriftsteller von einem Mann aufgesucht, der behauptet, dass der Schriftsteller von ihm abgeschrieben hätte. Er gibt ihm ein Ultimatum, um zu beweisen, dass er Unrecht hat. Nach und nach verwischen die Grenzen zwischen realer Wahrnehmung und Wahnsinn und der Schriftsteller weiß nicht mehr, was er glauben soll, bis es zum Showdown kommt, der ihm die Augen komplett öffnen wird und alle Menschen, die ihm nahe stehen, gefährden könnte.
Wer geht gerne in die Bibliothek? Und wer hat da schon einmal von der Bibliothekspolizei gehört, die bei nicht zurückgebrachten Büchern ausrückt, um diese einzusammeln? Kennt ihr nicht? Ich auch nicht, aber aus dieser absurden Grundidee eines Bibliothekspolizisten spinnt King eine sehr intensive Geschichte mit einer Art Katz- und Mausspiel, bei der eine Bibliothekarin, die schon lange tot sein sollte, eine wichtige Rolle spielt.

In „Der Zeitraffer“ kehren wir in das beschauliche Örtchen Castle Rock zurück, wo wir schon in den Romanen „Cujo“ und „Dead Zone“ und auch in der schon erwähnten Novelle „Die Leiche“ zu Gast waren. Zuletzt war dieser Ort in „Stark – The Dark Half“ Schauplatz von schauerlichen Vorgängen und auch hier geht es wieder sehr unnatürlich zu.  Der Junge Kevin bekommt zu seinem Geburtstag eine Polaroid geschenkt. Doch etwas stimmt nicht mit ihr, denn sie zeigt immer nur dasselbe Motiv – den Ausschnitt eines Gartenzauns und einen Hund, der daran entlang geht. Doch so ganz stimmen die Motive nicht überein, denn Foto für Foto verändert sich das Motiv. Erst unmerklich, dann immer mehr. Kevin wird diese Kamera immer unheimlicher und er wendet sich an einen gewissen Pop Merrill, der in der Stadt eine Art Geschäftemacher der kleinen Gefallen ist. Dieser erkennt bald das große Potential der Kamera und will diese an den Meistbietenden bringen, was sich als großer Fehler erweisen soll.

Ich sag nichts Neues, aber King kann auch (mittel)kurz

Es mag zwar verwunderlich klingen, wenn man diesen Sammelband in der Hand hält und seinen Umfang von knapp 900 Seiten bemisst, aber Stephen King kann sich auch kurz fassen. Dieses Mantra werde ich während dem Projekt noch oft wiederholen, denn es stimmt einfach und er stellt(e) es im Laufe der Jahrzehnte immer wieder unter Beweis. Sei es in Kurzgeschichten oder eben in Novellen wie diesen hier. Dabei schafft er es erneut, auch auf weniger als 300 Seiten Charaktere zu erschaffen, die entweder fesseln, faszinieren oder einem nur tierisch auf den Zeiger gehen beziehungsweise so richtig abgrundtief böse, verworren oder fehlgeleitet sind, so dass man an allen Fronten zu tun hat, dieses Personal einzuordnen. Besonders deutlich wird das bei der ersten Geschichte in diesem Band, die von den Langoliers handelt und die noch am ehesten romanhafte Züge trägt, da sie die längste der vier Novellen ist. Da ist auch die  Personaldecke etwas größer angesetzt und doch hat er für alle, die im Verlauf wichtig werden, einen mehr oder minder großen Hintergrund parat, mit denen wir diese Figuren näher kennen und lieben/hassen lernen. Diese Klaviatur beherrscht King perfekt und spielt sie auch in den anderen drei Novellen voll aus, so dass man bei den Geschichten dran bleibt, mögen sie auch noch so abstrus und verrückt sein.

Die Geschichten selbst kommen wieder aus den tiefsten Gruselvorstellungen in Kings Kopf und lassen einen immer wieder erschauern, ob ihrer Abnormalität innerhalb der normalen Welt. Dabei vermengt er innerhalb der Geschichten immer wieder Traumata einzelner Personen, die dann eine ganze Kette an unglücklichen oder erzwungen bösartigen Handlungen nach sich ziehen. Sei es der Vater, der seinem Kind einen unglaublichen Perfektionismus zusammen mit einer Angststörung in den Kopf pflanzt oder ein Schriftsteller, der vor seiner eigenen Schreibblockade zurückschreckt und sich dabei irgendwie anders erfindet oder ein Mann, dem ein traumatisches Kindheitserlebnis auch als Erwachsener ordentlich zusetzt. Dies alles verwebt King in seine übernatürlichen Geschichten, macht sie stellenweise gar zum zentralen Handlungselement und lässt seine Figuren entweder daran wachsen oder daran scheitern.

Was ich an King seinen Werken so liebe ist die gut ausgeglichene Balance zwischen nägelkauendem Suspense, teils dramatischen und manchmal etwas sehr brutalen Szenen, die sich meist zum Schluss zwangsläufig aus dem Szenario ergeben und dem entgegen die ganze menschliche Seite, die er so unglaublich gut beschreiben kann, dass man die Menschenkenntnis dieses Mannes nur bewundern kann, so genau trifft er seine Charaktere auf den Punkt, selbst in dem eng gesteckten Rahmen einer Novelle. Gerade dieser letzte Punkt ist ein Fakt, der mir selbst mittelmäßige Geschichten von ihm noch etwas positives abgewinnen lassen. Nehmen wir zum Beispiel die Novelle „Der Bibliothekspolizist“, die vom Aspekt des Horrors eigentlich recht belanglos, zum Ende hin sogar sehr hanebüchen wirkt. Aber King versteckt in dieser Geschichte eine menschliche Dramatik eines Kindes, die einen zu wütenden Tränen bringt und die aufzeigt, wie schrecklich brutal eigentlich unsere eigene Realität ist und diese schon Horror genug bietet, ganz ohne übernatürlichen Aufbau. Letzten Endes sind diese Novellen in ihrem Spannungsaufbau in meinen Augen nicht ganz so gut gelungen wie manch andere Novellen, da man entweder den Twist schon meilenweit kommen sieht oder die übernatürliche Komponente nicht so richtig zu mir als Leser vordringen wollte, selbst bei der Geschichte Langoliers nicht, die ich von den vier Novellen noch als die am besten ausgearbeitete erachte. Dennoch habe ich alle vier Geschichten gern gelesen, da sie die eben schon angesprochenen Tugenden in Kings Schreiben wunderbar aufs Papier gebracht haben. So sind Geschichten entstanden, die trotz ihrer Kritikpunkte zum Teil im Gedächtnis bleiben werden und sehr lesenswert beziehungsweise spannend sind, aber trotz dessen für mich persönlich nicht zu seinen ganz großen Geschichten zählen werden.

P.S.: Die letzte Geschichte spielt in Castle Rock, zeitlich gesehen vor den Ereignissen, die im nachfolgenden Roman „Needful Things“ eine Rolle spielen. Dabei ist es zwar nicht essentiell zu wissen, was in Zeitraffer passiert ist, um den Roman zu verstehen, aber die Ereignisse aus „Zeitraffer“ werden öfter im Roman erwähnt. Außerdem gehört diese Novelle zum sogenannten „Castle Rock“- Zyklus, bei dem auch „Stark – The Dark Half“ mit hineinzählt, da dort der Sheriff des Ortes, Alan Pangborn, näher vorgestellt wird und der in Needful Things eine zentrale Rolle einnimmt. So viel als Ausblick zur Besprechung von Needful Things und ein kleiner Hinweis, wie verzweigt King sein Schreiben angelegt hat und immer wieder mit Querverweisen füttert.

P.P.S.: Ein Teil der Geschichten wurde sogar verfilmt. Den Langoliers wurde eine TV-Verfilmung gegönnt, die wohl eher öder sein soll. Für Das geheime Fenster wurde sogar ein Kinofilm gemacht, in dem Johnny Depp die Hauptrolle spielt. Diesen Film habe ich vor Ewigkeiten mal gesehen, kann mich aber an kaum etwas erinnern. Zu den anderen zwei Novellen gibt es meines Wissens nach keine Verfilmung. Ich erwähne diese Verfilmungen hier am Rande, da ich diese in meiner Besprechung mit keiner Silbe erwähnt habe, vor allem, weil mir die Filme unbekannt sind und es daher keinen Sinn macht, auf diese näher einzugehen. Zur Information sollten sie in diesem Beitrag aber trotzdem erwähnt werden.

P.P.P.S: Dieser Sammelband, wie ich ihn hier bespreche, existiert eigentlich erst seit 2016 so (zumindest im deutschen Raum). Davor waren diese vier Novellen auf zwei Bücher aufgeteilt und zwar unter den Titeln „Langoliers“ und „Nachts“, was bei den Besprechungen auf dem Buchperlenblog deutlich wird, die ich euch unten verlinkt habe. Eine Recherche auf der Seite KingWiKi hilft nur bedingt weiter, lässt aber vermuten, dass im Original alle vier Novellen in einem Band erschienen sind und diese nur für den deutschen Markt aufgeteilt wurden,

Weitere Besprechungen zu diesem Buch findet ihr bei:

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4 Kommentare zu „[Projekt Stephen King]: 4 nach Mitternacht

Gib deinen ab

  1. Ja, die deutschen Verlage kegeln gern mal etwas mit den Kurzgeschichtenbänden, Namen derselbigen und den Rechten. „Das heimliche Fenster, der heimliche Garten“ und „Langoliers“ habe ich in einem Band und fand beide sehr spannend. „Langoliers“ habe ich als Kind gesehen und fand das so spannend – ich glaube es war sogar mein Einstieg in das Kingsche Universum zusammen mit Shining zu relativ derselben Zeit.
    Aber als ich den Film Jahre später nochmal geschaut habe, war ich nicht so beeindruckt. Leider XD V.A. fand ich die Effekte sehr schlecht gealtert und die Schauspielenden etwas überdreht und am Ziel vorbei.. das Pech habe ich mit einigen King-Verfilmungen.

    Gefällt 1 Person

    1. Von dem Film zu Langoliers höre ich ja meist nur gemischtes bis schlechtes. Mal sehen, ob ich mir den irgendwann noch gebe 😂
      Den Film zu Heimliches Fenster, Heimlicher Garten muss ich definitiv mal gesehen haben, habe aber nur noch dunkle Erinnerungen daran.

      Als Einstieg in die Welt zu King sind die Geschichten aber definitiv geeignet. Super Länge, spannend und auch mit guten Stories versehen.

      Von King habe ich noch gar nicht hiele Verfilmungen gesehen muss ich gestehen. Da habe ich definitv noch einiges an Nachholbedarf 🫣

      Like

  2. Huhu Marc!
    Schön zu sehen, dass die Bloglust dich doch nicht ganz verlassen hag und du vorallem im Kingprojekt gut vorankommst 😁 mir persönlich hat Langoliers ja nicht so sehr zugesagt, aber an den Zeitraffer und diesen unsäglichen… Hund… Kann ich mich bestens erinnern. 😄 Ist für mich sogar eine der Kurzgeschichten, die ich losgelöst noch einmal lesen möchte.
    Liebe Grüße!
    Gabriela

    Gefällt 1 Person

    1. Hallo Gabriela,

      bei den Langoliers hat mir ja diese ganze Zeitreisesache voll zugesagt, vor allem, wie King da mit den Erklärungen volles Rohr den Bogen überspannt, war schon interessant zu lesen, aber auch nicht ganz ohne ein paar langen.

      Das ich Zeitraffer nicht so in den Vordergrund gestellt habe, soll aber nicht bedeuten, dass ich diese Geschichte nicht auch mochte, da sie eigentlich auch schon sehr gut die Stimmung aus Needful Things anteasert, auch wenn noch kein Leland Gaunt in der Nähe ist. Allein dieses hinterträchtige Handeln von Pop Merrill war schon so passend, der hätte sich gut mit Leland ergänzt.

      Nächste Besprechung ist auch schon in der Pipeline und aktuell lese ich Das Spiel und komme da auch gut voran. Mal schauen, wie gut ich zu dir aufholen kann.

      Viele Grüße

      Gefällt 1 Person

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