[Projekt Stephen King]: Needful Things – In einer kleinen Stadt

Es war einmal eine kleine Stadt irgendwo in Maine

Kennen wir nicht alle diese kleinen Städte, in denen angeblich jeder Jeden kennt? Nicht zu groß, dass es anonym ist, aber auch nicht so klein, dass es fast schon dörflich ist. Wenn man es aus deutscher Sicht betrachtet, liegen diese Städte meist irgendwo im Speckgürtel von den Metropolen. Auch ich lebe in so einer „kleinen Stadt“. Nun ist es so, dass in einer kleinen Stadt vermeintlich jeder ein Geheimnis über viele andere kennt. Es gibt sie überall auf der Welt, nicht nur in Deutschland, nur ist die Struktur meist in jedem Land anders. Castle Rock, das im Kosmos von Stephen King schon einige Male Schauplatz gruseliger und schauriger Ereignisse war (Dead Zone, Cujo und Stark – The Dark Half zum Beispiel), ist ebenfalls so eine kleine Stadt und liegt irgendwo in Maine. Schaut man sich diesen Landstrich an, so fällt einem auf, dass es dort einige dieser Städtchen gibt und das fiktive Castle Rock ist eine davon. Sie wird nun erneut von etwas heimgesucht, was diesem beschaulichen Ort wohl den Todesstoß versetzen könnte und daran sind vor allem ihre Einwohner selber schuld. Angestachelt und angefacht von einem Mann, der eine Art Seelenfänger ist und sich an Gewalt und Tod der Menschen berauscht. Doch von vorn, denn der Roman „Needful Things – In einer kleinen Stadt“, Anfang der 1990er veröffentlich und auch in dieser Zeit schon mit Ed Harris, Max von Sydow und J.T. Walsh verfilmt, handelt genau von diesem Castle Rock und den Ereignissen, die dieser Stadt den Untergang bescheren werden.

Traumhafte Dinge wecken ungeahnte Begierden


Dabei fängt alles so harmlos an. In Castle Rock eröffnet ein neues Geschäft namens Needful Things. Es ist geheimnisvoll, keiner weiß, was verkauft wird und am Eröffnungstag wollen sich alle davon überzeugen, was denn dieser Laden genau verkauft. So ganz klar wird es nie werden, aber man kann es ungefähr so beschreiben, dass dieses Geschäft Dinge an die Leute bringt, die sie sich schon immer gewünscht haben, obwohl sie davon vorher noch keine richtige Ahnung davon hatten, dass sie diesen oder jenen Gegenstand benötigen. Doch wie alles im Leben gibt es da nichts umsonst. Doch der Inhaber des Ladens, Leland Gaunt, verlangt dafür kaum Geld, vielmehr kleine Gefallen und Streiche, die diejenigen, die bei ihm Einkaufen, anderen Leuten spielen sollen. Da wäre zum Beispiel der Junge Brian Rusk, der erste Kunde bei Leland, der für den Kauf einer Baseballkarte einer sehr resoluten Frau einen noch nicht näher bestimmten Streich spielen soll. Oder Hughie, der stadtbekannte Säufer, der für den Kauf eines Fuchsschwanzes einer stadtbekannten „Irren“ einen Streich spielen soll. Für all das hält von Anfang an Leland Gaunt die Fäden in der Hand. Doch was bezweckt er damit? Ist es der pure Reiz an Streichen und wie diese ausgehen oder steckt da mehr dahinter? Der Einzige, der vor diesem ganzen Wahnsinn gefeit scheint, ist der lokale Sheriff des Ortes, Alan Pangborn, der vor einiger Zeit seine Frau und einen Sohn bei einem Unfall verloren hat. Diesen Mann meidet Gaunt wie der Teufel das Weihwasser und das aus gutem Grund.  Und so strickt Leland Gaunt im Hintergrund an einem großen Masterplan, der Castle Rock ins Unglück stürzen soll und Leland Gaunt einige verzückte Tage in diesem Ort, denn er ist jemand, der sich am Unglück anderer zu laben scheint. Schafft es Alan Pangborn noch rechtzeitig, diese makabren Plan zu durchkreuzen und seinen Ort zu retten?

In Castle Rock ist der Teufel los

Dieser Roman läutet nun die 90er Jahre des Schaffens von Stephen King ein (zumindest, was die Romane angeht) und mit was für einem Paukenschlag. Der Ort Castle Rock hat schon öfter schaurige Geschichten angezogen. Wir erinnern uns an Cujo, den tollwuterkrankten Hund, der eine Frau und ihr Kind tagelang terrorisierte oder denken den Schriftsteller Thad Beaumont, der seinen bösen, selbst erschaffenen Zwilling George Stark in Castle Rock zur Strecke bringen musste, woran Alan Pangborn ebenfalls seine Mitwirkung hatte. Und auch ein paar kleinere Geschichten spielten sich in und um Castle Rock ab, der Stadt, die in Stephen Kings Schaffen eine zentrale Rolle einnahm. Doch das sollte sich mit „Needful Things“ ändern, denn diese Stadt hat eine Instanz dazu auserkoren, Boshaftigkeit und Zwietracht zu säen und dann die Ernte einzufahren. Dazu benötigt King wieder etwas Anlauf, denn in diesem Roman kommen viele einzelne Figuren vor, die eine wichtige Rolle spielen und mit ihren Macken und Eigenarten vorgestellt werden wollen. Außerdem ist es sehr bedeutend, dass Beziehungsgeflecht zwischen den Menschen in Castle Rock aufzuzeigen, damit das, was in dem Buch geschieht auch seine volle Kraft entfalten kann.
Wer jedoch mit der Prämisse an ein Buch von Stephen King heran geht, dass ständig etwas passieren muss, wird von der ersten Hälfte und womöglich von dem ganzen Buch enttäuscht sein. Denn von den zirka 800 Seiten sind etwa 400 Ränkespiele und Fäden ziehen im Hintergrund, während nebenbei die halbe Ortschaft ihren Auftritt bekommt. Manche mit mehr Freiraum, andere werden nur kurz vorgestellt, aber allen steht voran, dass ihre jeweiligen Vorstellungen wichtig sind für das, was geschehen wird. Für Freunde des gepflegten Splatters und schaurigen Gruselns bietet dann die zweite Hälfte enorm viel Potential und King schöpft hier wirklich alles aus, was es an Massakrierungsmöglichkeiten und Bösartigkeiten gibt und beschreibt diese aufs genaueste. Manche Szenen sind dabei sehr schwer zu ertragen in ihrer Grausamkeit. Dieser zweite Abschnitt entwickelt dabei ein Tempo, bei dem man atemlos durch die Seiten hechelt und wissen will, was als nächstes passiert und ganz wichtig, wie sich der Sheriff am Ende diesem ganzen Chaos annehmen wird.

Und im Hintergrund lächelt Leland Gaunt sein teuflisches Lächeln

Ich habe dieses Buch mittlerweile zum zweiten Mal gelesen und war erstaunt, wie unterschiedlich der Stil zwischen dem ersten und zweiten Abschnitt war. Ich konnte mich von meinem ersten Lesedurchgang, der sicher schon mehr als 15 Jahre zurück liegt, nur noch an grobe Handlungszüge erinnern und wie diese Geschichte ungefähr ausgeht. So waren kaum noch an Details präsent und insbesondere wie brutal sich diese Geschichte zum Ende hin entwickelt, als alles aus dem Ruder und ganz nach dem Plan läuft, den sich Leland Gaunt für den Ort erdacht hatte. So war es für mich, bis auf das Grundkonstrukt der Geschichte, als würde ich das Buch erneut zum ersten Mal lesen. Dabei mochte ich irgendwie beide Abschnitte des Buches sehr. Zum einen, wie King hier sehr detailgetreu, aber ohne große Abschweifungen ein Bild von diesem Ort zeichnet, der sich damit fast wie ein eigener Charakter anfühlt. Alle Personen, die King näher vorstellt, bekommen eine eigene, tiefergehende Persönlichkeit, die einem alle Bewohner sehr bildhaft vor Augen erscheinen lässt. Das ist in gewisser Weise die große Stärke von King, dass er vom Kind bis zum alten Menschen alles so gut zu Papier bringt, dass einem die Figuren sehr vertraut erscheinen. Insbesondere Alan Pangborn, den wir schon aus „Stark – The Dark Half“ kennen, wird hier richtig tiefgründig charakterisiert, indem seine Trauer über seine bei einem Unfall verstorbenem Frau und einem seiner Söhne viel Raum einnimmt und zu einem wichtigen Handlungsmerkmal für die spätere Geschichte wird, was King ebenfalls bei vielen anderen der vorgestellten Figuren gelingt, seien es auch nur die kleinsten Nebenfiguren. Alle treten lebhaft vor das innere Auge und machen so die Stadt Castle Rock und seine Einwohner für einen als Leser*in lebendig. Damit wird auch die Fallhöhe für das immense Mitfiebern in der zweiten Hälfte des Buches enorm hoch angerichtet. Bis auf wenige Ausnahmen leidet man bei jedem „Streich“ mit, der von Leland Gaunt geplant und von den Einwohnern zur Vollendung ausgeführt wird. Man möchte am liebsten allen zurufen, was wirklich Sache ist, damit nichts passiert und alle sich auf den wahren Schuldigen stürzen.

Der erste Abschnitt im Buch mag bei alledem noch sehr behäbig erscheinen, da hier die verzweigten Beziehungen im Ort zum Tragen kommen und das Vertraut machen der Bewohner Castle Rocks mit dem neuen Laden. Das etwas mit dem neuen Laden und seinem Inhaber nicht stimmt, merkt man als Leser*in eigentlich von Beginn an, die Einwohner Castle Rocks allerdings nicht sofort. Als sie es merken ist es allerdings schon zu spät.

Spannungsgeladen bis zum Schluss

Dieses Buch hatte ich für mich als ein sehr gutes abgespeichert und das bestätigte sich nun beim erneuten Lesen. Auch wenn die erste Häfte sehr ruhig daher kommt und es irgendwann zu einem harten Schnitt in der Art der Geschichte kommt, die Brutalität zunimmt, wirkt doch alles wie eine Einheit. Die Charakterisierungen aller Figuren passen und es ist fast keine dabei, die einem beim Lesen so auffällt, dass man denkt, was das jetzt nun sollte. So kann King seine Fäden nach und nach auslegen, uns an die Leine nehmen und auf einen atemlosen Showdown hinarbeiten. Und selbst dieses ganze Szenario, das sich nach und nach immer mehr bis zu einem furiosen Finale steigert, wirkt aufgrund des ganzen Aufbaus zu keinem Zeitpunkt zu hektisch oder unübersichtlich. Alles, was King im ersten Abschnitt eingeführt und mittels Leland Gaunt an Ränkespielen definiert hat, wirken im zweiten Abschnitt mit ihren ganzen katastrophalen Wirkungen. Man leidet mit, man fiebert mit und kann nicht umhin, dieses Buch trotz all seiner Tragik und Brutalität zu mögen.  Auch gewisse Querverweise zu den Geschichten aus Cujo, Der Zeitraffer, Stark – The Dark Half und auch Die Leiche spielen eine Rolle, dass dieses Buch ein besonderes ist. Einzig auf den zirka letzten 30 Seiten spult King sein Programm ein wenig zu inkonsequent ab. Das wirkte fast ein wenig so, als möchte er dann doch langsam mal zum Ende kommen oder ihm viel keine passendere Steigerung mehr ein. Aber entgegen manch anderem Ende, was uns in seinem späteren Schaffen noch blühen wird (Die Arena oder Duddits), hat er hier in diesem Roman fast alles eiskalt bis zum Schluss durchgezogen und jede Menge Opfer gebracht, von denen man am Anfang nicht ausgehen würde, dass sie welche werden.
Aus all diesen Punkten lässt sich für mich ableiten, dass dieser Roman definitiv einer ist, der große Chancen hat, auf einem Top Ten-Platz zu landen, wenn ich alle Werke Kings ausgelesen habe.

Weitere Besprechungen zu diesem Buch findet ihr bei:

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7 Kommentare zu „[Projekt Stephen King]: Needful Things – In einer kleinen Stadt

Gib deinen ab

  1. Oh wie schon doch so bald wieder von dir hier zu lesen. Und dann noch über eins meiner Lieblingsbücher von King. Neben Needful Things, gehört auch Stark dazu. Allerdings habe ich wegen der „Fülle“ das Buch bisher auch nur ein Mal gelesen. Es wäre spannend mal einen Reread zu machen und zu schauen, ob es mir dann immer noch so gut gefällt.. hast du eigentlich mal die Serie Castle Rock gesehen? Ich war ganz angetan davon, auch wenn sie keins der Bücher so direkt adressiert und viele Fragen offen lässt.

    Gefällt 1 Person

    1. Die Serie habe ich noch nicht gesehen, weiß aber, dass sie vielmehr den Fokus auf die Stadt legt und bisher nicht erzählte Geschichten aus dieser Gemeinde präsentiert und sich dabei Figuren bedient, die im Kosmos von King entweder vorkamen oder zumindest darin vorstellbar sind.

      Ein reread lohnt sich garantiert. Ich empfand es als sehr spannend, da ich eigentlich nur die zweite, brutale Hälfte abgespeichert hatte, aber nicht mehr, wie gut und umfangreich die Vorarbeit in diesem Buch aufbereitet wurde.

      Like

  2. Schönen guten Morgen!

    Da hast du dich ja richtig ausgetobt in der Rezension und man spürt regelrecht deine Begeisterung! :D Ich mochte die Geschichte auch sehr und fand die Entwicklungen spannend zu verfolgen, wie es aus einem „Witz“ plötzlich so bedrohlich wurde und alle in diese Spirale mit hineingezogen wurden!

    Liebste Grüße, Aleshanee

    Gefällt 2 Personen

    1. Hallo Alashanee,

      danke für deine Worte. Ja, die Begeisterung sprüht bei dem Buch richtig aus mir. Das war aber auch ein fantastischer Trip von einer Geschichte. Und du hast es bei dir auch wunderbar beschrieben, dass man sich gerade bei diesem Buch trotz all dieser Splattermomente und Abnormalitäten, die sich die Einwohner antun, richtig unterhalten fühlt und zu keinem Moment irgendwie unwohl.

      Viele Grüße
      Marc

      P.S.: Wann plant ihr wieder ein Leserunde zu einem Buch Kings und welches wird es wohl sein?

      Like

      1. Momentan ist keine Leserunde geplant. Nicole und Andrea – die ja auch fleissige King-Leserinnen sind, haben zurzeit andere Leserunden geplant und wir haben grade auch kein King Buch in Aussicht was wir gemeinsam lesen könnten.
        Aber das kann sich ja auch noch ändern, mal schauen :)

        Gefällt 1 Person

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