[Projekt Stephen King]: Das Spiel

CW: sexuelle Nötigung Minderjährigen

Mit Misery beziehungsweise Sie hat Stephen King schon bewiesen, dass er ein Kammerspiel schreiben und dies auf höchste intensive Stufen treiben kann. Das der Rahmen dabei sogar noch kleiner gesteckt und die Figurenzahl weiter herunter gesetzt wird, die ums Überleben kämpfen, ist da nur konsequent und wird in Das Spiel (Original: Gerald’s Game) weiter auf die Spitze getrieben. Dabei legt uns King eine Ausgangssituation zurecht, die zwar nicht unbedingt alltäglicher Natur ist, aber durchaus im Rahmen des Denkbaren möglich ist. Daraus entwickelt King einen Horror, der einen richtiggehend packt und schafft dabei gleichzeitig in meinen Augen zwei sehr intensive Szenen, die definitiv in der Hall of Fame landen würden, wenn man eine Zusammenstellung von denkwürdigen Abschnitten aus seinen Büchern erarbeiten würde.

Ein Fesselspiel mit Nebenwirkung

Jessie und Gerald Burlingame wollen ein Wochenende allein an einem See verbringen. Dabei hat Gerald nur eines im Sinn, seine Frau mit Handschellen ans Bett fesseln und in diesem Zustand wilden Sex mit ihr haben. Diesen Fetisch hat Gerald seit einiger Zeit entwickelt und lebt ihn zusammen mit seiner Frau aus, die aber mehr widerwillig bei diesem Treiben mitmacht. So ist es auch an diesem Wochenende in der Hütte am See, die relativ abseits liegt und auch durch die Jahreszeit bedingt mitten im Herbst kaum Menschen in der Nähe sind. Eigentlich ideale Grundvoraussetzungen für solche Spiele, da niemand stören würde. Doch Jessie, schon ans Bett gefesselt, verspürt keine Lust darauf, sagt das ihrem Mann auch so deutlich, doch dieser hört nicht zu, wirkt vielmehr wie abwesend in seiner eigenen Fantasie, die er gleich Wirklichkeit lassen werden möchte.
Aus diesem Grund greift Jessie zu drastischeren Mitteln. Als Gerald nicht aufhören will, tritt sie ihn zweimal. Einmal in die Weichteile und einmal gegen die Brust und da geschieht das Unvorstellbare. Gerald erleidet durch die Tritte einen Herzinfarkt und stirbt, während Jessie noch mit den Handschellen ans Bett gefesselt ist. Aus dieser Situation ergibt sich eine mehrtägige Tortur für Jessie, bei der es fraglich ist, ob sie sich aus der misslichen Lage befreien kann. Dabei ist Jessie nicht allein, denn weil Gerald die Eingangstür zum Haus offen gelassen hat, gelangt ein streunender und abgemagerter Hund ins Haus, der anfängt den toten Gerald zu fressen. Und noch etwas viel grauenhafteres gelangt ins Haus und will Jessie tot sehen. Wird sie diesen ganzen Horror überleben? Und können ihr dabei die ganzen Stimmen im Kopf helfen, die sie seit einem traumatischen Kindheitserlebnis begleiten?

Mit Stimmen im Kopf gegen den sicheren Tod

Die Beschreibung des Inhalts, den ich euch gerade aufgeschrieben habe, umfasst gerade einmal die ersten zehn bis zwanzig Seiten im Buch und dazu ein wenig den Ausblick auf das noch kommende. Stephen King macht hier wahrlich keine Gefangenen und setzt uns und Jessie sofort der Situation aus. Keine große Einleitung wird hier geboten, sondern vielmehr eine wahrhaft fesselnde Situation geschaffen, aus der sich die Protagonistin mit Ideen und Überwindung selbst befreien muss.
Doch gemach, davor hat Stephen King noch ein paar Seiten gesetzt, die diesen Kampf immer weiter steigern und das auf eine beeindruckende Weise, dem wir uns hier ganz in Ruhe widmen wollen.
Da ist zuerst die Ausgangssituation, die Jessie zu Beginn nicht recht wahrhaben möchte. Erst als der streunende Hund in das Haus am See eindringt und seinen Instinkten folgt, wird ihr das ganze Ausmaß des Schlamassels bewusst, in dem sie sich befindet. Aber hier werden auch die inneren Stimmen essentiell, die Jessie die ganze Zeit begleiten. In ihrer Kindheit hat sich ein traumatisches Ereignis zugetragen, was diese Stimmen hat entstehen lassen. Dieser Rückblick betrifft eine Sonnenfinsternis, die Jessie mit ihrem Vater zusammen angesehen hat. Der Rest der Familie war dabei nicht zugegen. Bei dieser Sonnenfinsternis kommt es zu einer sexuellen Nötigung des Vaters, was sich traumatisch auf Jessie auswirkt, da diese gesamte Situation unter Schweigen begraben wird.
Auf der positiven Seite kann hier angemerkt werden, dass es King fantastisch versteht, dieses Trauma in die Psyche der Hauptfigur einfließen zu lassen und wie daraus die vielen Stimmen in ihrem Kopf entstehen. Negativ ist mir aber aufgestoßen, wie breit King dieses Ereignis ausbreitet. Ich verstehe zwar die Intention dahinter, aber es wirkte irgendwie zu stark im Vordergrund, zu asuführlich beschrieben und dadurch erst richtig abartig, was sicher vom Autor so beabsichtigt war, damit das Trauma mehr Wirkung erzielt. Jessie verarbeitet es auf ihre Weise, indem sie sich in ihrem Kopf eine Art multiple Persönlichkeit aufbaut und Stimmen erschafft, die sie von dieser Misshandlung ablenken. Diese Stimmen sind es dann auch, mit denen Jessie in ihrem Martyrium spricht, Zwiegespräche hält und die Jessie in vielen Situationen zur Seite stehen, um ihr aus der verzwickten Lage zu helfen, wo sie selber lange aufgegeben hätte. Somit haben diese Rückblenden ihren Sinn, die als Traum während ihres langsam anwachsenden Deliriums angelegt sind. Sie sind aber eindeutig zu lang geraten. Das hätte mir dieses wirklich spannende Buch fast verdorben.
Doch dann haut King in diesem Szenario des Gefesseltseins und des Versuchs sich zu befreien ein paar sehr krasse und intensive Szenen rein, die mir beim Lesen wahrhaftige Gänsehaut beschert haben und ähnlich der „Fuß ab“ – Szene in Misery richtig im Gedächtnis bleiben. Ohne weiter zu spoilern geht es um eine blutige und eine eher sehr spooky Szene, die es beide auf ihre Art wirklich in sich haben und die mich nicht kalt lassen konnten. Ob es Jessie am Ende schafft sich zu befreien, lasse ich an dieser Stelle offen, um die Spannung zu erhalten, wenn ihr das Buch noch lesen wollt.

Ein wirklich gutes Buch mit Schwächen

King hat es erneut geschafft, aus einer völlig einfachen und simplen Ausgangslage eine richtig spannende Situation zu erschaffen. Zu großen Teilen des Buches ist Jessie mit sich allein und ihren inneren Stimmen beschäftigt und daraus entwickelt sich ein mit Abstrichen richtig guter Kammerspiel- Survival- Thriller. Und wie schon in Misery, Cujo, Der Musterschüler oder Die Leiche erschafft King hier ein reales Horrorszenario, das jederzeit vorstellbar ist, dass es so passieren könnte und dadurch umso stärker nachwirkt als alle übernatürlichen Gruseleinlagen mit Splattereffekten, die ebenso seine Feder/Tastatur verlassen. Für mich trotz manchem negativen Punkt in der Handlung und dem etwas überlangem Epilog ein Highlight während meines chronologischen Kingmarathon, mit dem ich so nicht gerechnet habe.    

Weitere Besprechungen findet ihr bei:

2 Kommentare zu „[Projekt Stephen King]: Das Spiel

Gib deinen ab

  1. Gerald’s Game kenne ich bisher nur durch die Verfilmung – und bei der habe ich gemerkt, dass die Story nichts für mich ist. Zumindest in der Verfilmung war mir alles zu sehr in die Länge gezogen. Gleichzeitig ist so ein Szenario für mich zu heftig / aufwühlend, weil mein eigener Kopf viel zu lange mit einigen Szenen beschäftigt bleibt. Aber vielleicht kann ich in Textform besser damit umgehen?!

    Gefällt 2 Personen

    1. Hi Kathrin,
      Hm, wenn die Story nix für dich war bei der Verfilmung, dann wird wohl das Buch auch nichts sein. Ich weiß jetzt nicht, wie der Film manches umgesetzt hat (ich weiß nur, dass die stimmen in Jessies Kopf durch Gerald ersetzt wurden) und vor allem, wie die Vergangenheit im Film eingebracht wird.
      Ich empfand das Buch schon als stark, kann mir aber auch vorstellen, dass es als zu langgezogen wahrgenommen wird.

      Es ist aufwühlend, bietet ein vornehmlich psychisches Szenario an und wie die nicht bewältigte Vergangenheit einen in der Gegenwart prägen kann.

      Also mein Tipp: Lieber die Finger davon lassen, auch wenn das Buch mit einigen guten und krassen Szenen aufwartet.

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